Die türkische Regierung nützt den Rückenwind der beginnenden EU-Beitrittsverhandlungen und setzt ihren rigiden Privatisierungskurs fort. Nach dem Verkauf des Stahlkonzerns Erdemir am Dienstag sollen heuer noch drei Energieversorger, die zweitgrößte Bank des Landes, Halk, der Versicherungskonzern Basak und 51 Prozent des Petrochemiekonzerns Petkim auf Verkaufsschiene gebracht werden.

Außerdem werden noch zwei Lizenzen für den 30-jährigen Betrieb des Hafens Samsun am Schwarzen Meer und des Izmir-Seaport vergeben, skizzierte Hasan Köktas, Vizechef der staatlichen Privatisierungsagentur OIB, am Mittwoch in einem Pressegespräch an. Über die Bühne gehen werden die Deals binnen sechs bis acht Monaten, je nach Bieterinteresse.

Rekorderlös

Fix ist, dass die OIB heuer einen Rekorderlös lukrieren wird - nicht zuletzt dank der 2,996 Milliarden Dollar (2,5 Mrd. Euro), die 49,29 Prozent staatliche Erdemir-Aktien bei der Auktion am Dienstag eingebracht haben. "Heuer ist ein fantastisches Jahr", sagte Köktas. Inklusive Erdemir hätten die Privatisierungen heuer bereits 23 Mrd. Euro eingebracht. Das Geld fließt, wie berichtet, nicht ins Budget, sondern wird - Maastricht-konform - zum Abbau der Staatsschulden verwendet.

Infrastrukturunternehmen wie Häfen, Autobahnen, Brücken und Elektrizitätsunternehmen werden übrigens generell nicht verkauft, sondern die OIB vergibt im Auftrag der Regierung langfristige (jeweils rund als 30 Jahre) Betreiberlizenzen. Das internationale Interesse ist groß, beim Mittelmeerhafen Mersinport beispielsweise hat der 36-jährige Betreibervertrag 755 Mio. Euro eingebracht. Von den 21 Elektrizitätsunternehmen werden vorerst nur Verteiler, keine Produzenten veräußert.

Bei Halk, der zweitgrößten Bank in der Türkei, stehe noch nicht fest, wie viel verkauft wird, möglich seien bis zu 100 Prozent. Um die Lotteriengesellschaft unter den Hammer bringen zu können, brauche es noch zwei Gesetzesänderungen. Im Frühjahr 2006 sollte man mit dem Verkaufsprozess aber startklar sein.

Skeptische Stimmen zu Erdemir-Verkauf

Sehr skeptisch sind Marktbeobachter indes bei der größten Stahlprivatisierung des Jahres: dem Verkauf von Erdemir an Oyak, den Pensionsfonds des türkischen Militärs, zu dem ein riesiger Mischkonzern gehört. Oyak hat mit knapp drei Mrd. Euro für die Hälfte an Erdemir (zusammen mit den drei Prozent eigenen Erdemir-Aktien verfügt Oyak über eine komfortable Mehrheit beim Hersteller von Lang- und Flachstählen) strategische Investoren wie die Weltmarktführer Arcelor und Mittal aus dem Feld geschlagen.

Sie waren bei der von der auf Privatisierungen und Zukäufe in Ost- und Südosteuropa spezialisierten Raiffeisen Investment AG (RIAG) durchgeführten Auktion bei 2,6 bzw. 2,74 3. Spalte Mrd. Euro ausgestiegen; detto die russischen Bieter Severstal und Novolipetsk.

"Aggressiv"

"Bei der aggressiven Bewertung konnten wir nicht mit", sagte ein strategischer Interessent danach zum STANDARD. "Und schon gar nicht bei der optimistischen Einschätzung für die Entwicklung." Oyak habe sehr tief in die Tasche gegriffen, denn Erdemir habe beim Verkauf fast die dreifache Marktkapitalisierung gegenüber vor zwei Monaten.

OIB-Vizechef Köktas, der auch im Erdemir-Aufsichtsrat sitzt, sieht es pragmatisch: "Ich bin sicher, Oyak wird mit einem strategischen Investor kooperieren. Denn Erdemir braucht eine Partnerschaft." Schließlich laufe ein großes Investitionsprogramm, die Stahlproduktion soll bis 2009 von 5,5 auf 9,3 Mio. Tonnen erhöht werden. Mögliche Partner sind bereits zur Stelle: Mittal hält bereits zwischen 8,6 und 14 Prozent an Erde 5. Spalte mir, und auch Arcelor habe über die Börse Aktien gekauft.

2004 war für Erdemir ein Rekordjahr: Der mit 17.000 Mitarbeitern erwirtschaftete Umsatz stieg um 114 Prozent auf 2,7 Mrd., der Gewinn um 108 Prozent auf 489 Mio. Euro.

Mit der RIAG zeigte sich Köktas höchst zufrieden: Die Regierung bekam einen Rekorderlös und ihr bleibt Protest gegen einen Verkauf an Ausländer erspart.

"In Osteuropa dauern Privatisierungen durchschnittlich zwei Jahre, in der Türkei nur sechs bis acht Monate", so RIAG-Chef Heinz Sernetz. Interessanterweise wurde auch Käufer Oyak von einer österreichischen Firma beraten, von der CA-IB. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 06.10.2005)