Mohammed El Baradei: "Ich empfinde Demut".

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Ein Stück Betonmauer haben sie ihm reserviert und einen Sicherheitszaun gezogen in der "Rotunde", der flaggenbehängten runden Eingangshalle in der Wiener UNO-City, wo Mohamed ElBaradei seine Dankesrede halten soll, so, wie ihn seine Mitarbeiter eben seit Jahren erleben: immer mit dem Rücken zur Wand, aus der Defensive kämpfend gegen Washingtons Machtpolitik und gegen jene Regime, die ihre Atomprogramme hartnäckig abzustreiten versuchen.

"Pharao" wird der 63-Jährige in der Internationalen Atomenergiebehörde genannt. Nicht nur weil der Direktor der IAEO Ägypter ist und der fortwährende politische Druck ihn verschlossen machte, sondern weil das Urteil seiner Behörde über Krieg und Frieden entscheiden kann.

Doch dann tritt ein ganz anderer ElBaradei auf. Durch den großen Eingang der "Rotunde" kommt der neue Friedensnobelpreisträger in Begleitung seiner Leibwächter und seiner Sprecherin und strahlt und lächelt, während er rasch die Halle durchmisst wie auf einem unsichtbaren Laufband, getragen vom Applaus seiner Mitarbeiter. Man hat ihn von zu Hause geholt.

Demut und Trotz

"Heute ist mein freier Tag", sagt ElBaradei zuerst, "ich empfinde Demut." Dann findet der IAEO-Direktor, der im Sommer erst für eine dritte Amtszeit gewählt worden war, zu seiner Nüchternheit zurück. Der Nobelpreis sei eine Anerkennung der Bedrohung, die von der Weiterverbreitung atomarer Waffentechnik ausgehe, sagt er. Aber die Kämpfe mit Washington im Vorfeld des Irakkriegs von 2003 haben zu tiefe Narben hinterlassen, als dass der Ägypter über die politische Botschaft dieser Auszeichnung hinwegsehen wollte. "Der Preis wird meine Entschlossenheit und die meiner Kollegen stärken, weiter unsere Ansichten zu äußern", sagt er trotzig.

"Entschlossenheit" wird das Schlüsselwort in ElBaradeis erster Dankesrede nach der Entscheidung des Nobelpreiskomitees an diesem Freitag. "A shot in the arm", als eine Kraft spendende Impfung sei der Friedensnobelpreis für die IAEO und ihren Direktor gedacht, habe ihm der Präsident des Komitees am Telefon gesagt, erzählt ElBaradei. Ein "wunderbares" Gespräch mit US-Außenministerin Condoleezza Rice, die ihm gratuliert habe, schloss sich an, berichtet er und meint es auch wirklich so: Der Nobelpreis ist eine Bestätigung für multilaterale Politik, und wir sind alle Partner, heißt ElBaradeis Logik.

Befragt, was er für den größten Erfolg der Atombehörde halte, fährt der IAEO-Direktor eine Spitze gegen die USA. Es sei die Eliminierung des irakischen Waffenprogramms ge 6. Spalte wesen – "zwischen 1991 und 1997". Ob der Nobelpreis für die IAEO nun tatsächlich die Verhandlungen mit Nordkorea und dem Iran erleichtern wird, wie ElBaradei nun meint, daran zweifelt Hans Blix, Vorgänger im Amt des IAEO-Direktors und Mitstreiter ElBaradeis während der Debatten im UN-Sicherheitsrat vor dem Irakkrieg.

ElBaradeis Unabhängigkeit mag Washington nicht immer gepasst haben, meinte Blix gegenüber dem STANDARD. "Aber die Welt braucht eine unabhängige Stimme." (DER STANDARD, Printausgabe, 08./09.10.2005)