Margaret Edsons Wit, ein Broadway-Erfolgsstück. Wit (Geist), eine hervorragende Hauptdarstellerin (Ludmilla Mikael) und
eine französische Erstaufführung im Lausanner Vidy-Theater, das auch Luc Bondy regelmäßig für seine Premieren wählt: Der
Erfolg war vorprogrammiert. Noch dazu, wo Jeanne Moreau, die Grande Dame des internationalen Qualitätsfilms, die ihre
Theaterkarriere vor mehr als fünfzig Jahren in Frankreich begann, nun, mit 72, erstmals Regie am Theater führt.
"Man hat mich gebeten, Vivian zu spielen, ich zog es vor, sie in Szene zu setzen: Ludmilla Mikael ist ihre großartige
Verkörperung", erklärt Jeanne Moreau schlicht.
Um Verkörperung, oder richtiger: Entkörperung, Enthumanisierung im Spitals-und Forschungsbereich geht es im
melodramatischen Plott der Amerikanerin Margaret Edson. Ihre Antiheldin, Vivian Bearing, Anglistik-Professorin für Poesie
des 17. Jahrhunderts von absoluter intellektueller und persönlicher Rigorosität, hat Unterleibskrebs im Endstadium.
Humor angesagt
Edsons Stück wäre aber eine Frauenschnulze, wäre da nicht schon im Titel mit dem Wort "Witz" oder "Geistesblitz" Humor
angesagt: Regelmäßig wendet sich die Krebskranke wie in einer One-Woman-Show mit ironisch-sachlichen Analysen ihrer
Situation direkt ans Publikum, das sie durch ihre klar und knapp formulierten Witz-Kommentare sofort erobert.
Ludmilla Mikael hält sich in ihren zwei Nachthemden, die ihren mageren Körper erahnen lassen, aufrecht wie vor ihren
Studenten, was die Schmerzanfälle, deren Opfer sie innerhalb der knappen zwei Theaterstunden wird, noch dramatisch
effizienter werden lässt. Ihr schönes Gesicht wurde durch eine geschickte Maske (von Kuno Schlegelmilch) so arrangiert,
dass der Haarverlust durch die Chemotherapie glaubwürdig scheint. Das diskrete, kalte Spitalsmilieu wird durch
Milchglasscheiben und angerollte Utensilien ergänzt.
Die Kurzsequenzen mit dem Spitalspersonal, die in der inhumanen Schlussszene gipfeln, sind von sarkastischer
Kaltschnäuzigkeit und dadurch schon wieder komisch. Jeanne Moreau wahrt Distanz mit ihrer Inszenierung und verfügt über
ein Schauspielerteam von besonders gut ausgesuchten Individuen.
Applaus
Anna Gaylor als ehemalige Professorin der Kranken, ihre einzige Besucherin, rührt den Lausanner Saal zu Tränen. Wenn die
frisch gebackene Regisseurin zum Verbeugen auf die Bühne kommt, steht der ganze Saal zum Applaus auf, allen voran
Pierre Cardin und Micheline Rozan, die langjährige Kodirektorin von Peter Brook. Ein gutes Omen für die Wiederaufnahme
des "Geistesblitzes" im Pariser Chaillot-Theater, wo Jeanne Moreau zuletzt als "Célestine" glänzte.
Bis zum Herbst soll die Diva nach Wien kommen, um mit Michael Haneke zu drehen, weiters plant sie die Verfilmung der
Rolle von Marguerite Duras des Buches von Yann Andrea (des letzten Gefährten der Schriftstellerin) und 2001 will sie ihren
dritten eigenen Film drehen.
Olga Grimm Weissert aus Lausanne