Das Pressewesen in der Habsburgermonarchie zwischen 1848 und 1918 war weitaus vielfältiger und weniger zentralistisch organisiert als ursprünglich angenommen. Zu diesem Schluss ist die Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gekommen. Eine entsprechende Publikation mit nicht weniger als 2.500 Seiten soll im Jänner erscheinen.

"Auch im Vergleich zur heutigen Medienlandschaft in Österreich und jener der Nachfolgestaaten der Monarchie kann jene der K.u.K-Zeit als vergleichsweise modern gelten", erklärte Peter Urbanitsch von der Kommission der APA. Dem Fazit der 16 Historiker aus Österreich und den Nachfolgestaaten der Monarchie liegen langjährige Forschungen zu Grunde. Insgesamt an die 3.200 Zeitungen und Zeitschriften der Monarchie, die zwischen 1848 und 1918 in 13 Sprachen erschienen, wurden seit 1998 analysiert.

"In Teilen der Habsburgermonarchie, insbesondere in den großen Städten wie Wien, Pest, Prag und Triest begann bereits ab 1848 die Entwicklung der modernen Presse. Im Laufe des Jahres 1848, also während der Revolution, erschienen im Kaisertum Österreich rund 390 Zeitungen und Zeitschriften; 212 davon allein in Wien und darunter befanden sich 84 Tageszeitungen. 123 Zeitungen und Zeitschriften erschienen in den böhmischen Ländern", betonte Urbanitsch.

Mehrzahl der Medien hatten nur kurze Lebensdauer

Die Vielfalt der Medien und deren dezentrale Organisation zeigt laut den Ergebnissen der Forscher auch, dass das moderne Pressewesen von Anfang an sehr große Veränderungen durchlebte. Die überwiegende Mehrzahl der Medien hatte nur eine relativ kurze Lebensdauer und "im Gegensatz zum Österreich des 21. Jahrhunderts waren Presseorgane der Monarchie primär keine Wirtschaftsunternehmen, auch wenn die Sorge ums finanzielle Überleben ein steter Begleiter aller journalistischen Aktivitäten war. Vorwiegend ging es ums Kolportieren von Meinungen.

Große Rolle von Lokalzeitungen

Lokal- und Regionalblätter spielten zwischen 1848 und 1918 eine viel stärkere Rolle als heute. Sie waren die eigentlich meinungsbildenden Zeitungen", erklärt der Experte. Aus diesem Verständnis heraus sei erklärbar, dass die Medienlandschaft so vielfältig war. Die Auflagen waren dabei allerdings bei weitem nicht so hoch wie heute", betont der Wissenschaftler, fügt jedoch hinzu, dass "vor dem Ersten Weltkrieg einzelne Blätter eine Auflagenzahl von knapp 200.000 Exemplaren erreichten".

Zeitungsvorleser

Die Geschichte Österreichs als zeitungslesendes Land fördert auch Humoriges zu Tage. Ein Beispiel: Zeitungen fanden eine große Verbreitung, obwohl viele Menschen damals gar nicht lesen konnten. Die Lösung des Rätsels: In vielen ländlichen Gebieten der Monarchie, zum Beispiel im damaligen Galizien oder in Dalmatien, wo der Analphabetismus sehr hoch war, gab es eigene "Zeitungsvorleser".

Unter anderem schlüpften der Dorfpfarrer oder der Dorflehrer neben ihrem "Zivilberuf" in die Rolle des Zeitungsvorlesers. Dazu gab es in Gasthäusern eigene Leseklubs. "Unvorstellbar für heute ist auch, dass sich viele Zeitungen wöchentlich einfach umbenannten. Grund dafür war: Tages- und Wochenzeitungen wurden stärker besteuert als Produkte, die einen längeren Erscheinungsrhythmus hatten, mit der wöchentlich wechselnden Namenstaufe schlugen sie dem Fiskus ein Schnäppchen", erklärte der Historiker.

Vorzensur

Die Besteuerung von Zeitungen hatte damals eine indirekte Steuerungs- und Reglementierungsfunktion. Sie tat der Vielfalt der Medienlandschaft aber keinen Abbruch. Die Aufhebung der "Vorzensur" am 15. März 1848 war das erste Ergebnis der Revolution.

"Bisher musste die jeweilige Zeitung zwei Stunden vor Erscheinen bei der Polizeibehörde abgeliefert werden. 'So können sie das nicht schreiben' war damals ein Satz, mit dem Journalisten täglich leben mussten. Statt der ungewünschten Passage erschien halt dann ein weißer Balken in der Zeitung. In den fünfziger Jahren kurzfristig wieder eingeführt gehörte die Vorzensur aber bald der Vergangenheit an. Dennoch hatten die Behörden zahlreiche Möglichkeiten der Beeinflussung in ihrem Sinn: Konzessionszwang, Beschlagnahme, Kautionsverfall, aber auch Entzug der Postzustellung, die damals die gängigste Vertriebsform war. Freier Straßenverkauf, die Kolportage, war in Ungarn bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, in Österreich bis knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verboten", berichtete Urbanitsch.

Vorreiterrolle Österreichs

"Während der so genannten goldenen Zeit der österreichischen Journalistik, unter anderem mit der Gründung der 'Neuen Freien Presse 1870', nahm Österreich auch international eine Vorreiterrolle ein. Insgesamt können wir auf Basis unserer Forschungen feststellen, dass es ohne das Pressewesen der Monarchie später ganz sicherlich keine Fundamentalpolitisierung, keine Parteiengründungen, keine Entwicklung in Richtung allgemeines Wahlrecht gegeben hätte. Die Bevölkerung hätte schlichtweg keine Informationen gehabt. Zeitungen waren schließlich das einzige Medium, mit dem Nachrichten und Informationen damals transportiert wurden".

Das Pressewesen der Habsburgermonarchie wurde bisher nicht umfassend erforscht. Diese wissenschaftliche Lücke füllt die Kommission für die Geschichte der Habsburgermonarchie unter Leitung von Univ.-Prof. Helmut Rumpler nun mit ihrer umfangreichen Forschungsarbeit. Sämtliche Formen politischer Mobilisierung durch Vereine, Parteien, Interessensverbände und durch die Presse werden im Rahmen des Sammelwerkes "Die Habsburgermonarchie 1848-1918" im Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben und erscheinen diesen Herbst. Die Kommission selbst arbeitet über ihr internationales Netzwerk mit 80 Wissenschaftlern aus 14 Ländern zusammen. Neben dem Reihenwerk zur Monarchie laufen derzeit mehrere Forschungsprojekte. (APA)