STANDARD
Der Wahlsieg der SPÖ beweist einmal mehr, dass in der Politik manchmal durchaus sein darf, was eigentlich nicht sein kann: eine ländliche Region als verlässliche Hochburg der "Roten" - Korruption hin, Landesbank her.

Die SPÖ feiert seit nunmehr bereits vier Jahrzehnten im östlichsten Bundesland ihre sensationellsten Erfolge. Das gilt unabhängig von Über- oder Unterschreitung der absoluten Mehrheit wie auch vom Vergleich mit dem Ergebnis anderer aktueller Landtagswahlen. Es kann zwar durchaus sein, dass Michael Häupl in vierzehn Tagen noch mehr Stimmenanteile erhalten wird, doch gibt es in Wien ein linksliberales Wählerpotenzial von etwa 75 Prozent. (Woraus zwar noch nicht zwangsläufig folgt, dass SPÖ und Grüne dieses auch ausschöpfen, doch zeigt es die Dimension ihrer Möglichkeiten.)

Das Burgenland hingegen ist zu einem großen Teil relativ ländlich. Es fehlen Groß-und Universitätsstädte sowie etwa mit der Steiermark vergleichbare Industriegebiete. Viele Gemeinden haben weniger als 2000 Einwohner. Gleichzeitig ist zwar die Zahl der Pendler nach Wien beträchtlich, doch gibt es weder einen extremen "Speckgürtel" noch resultiert daraus ein Wiener Umland mit logischer SPÖ-Affinität.

Nach den Gesetzen der Logik hätte auf dem burgenländischen Wählermarkt eine christlich-konservative Partei keinesfalls seit 1964 immer nur den zweiten Platz belegen und schon gar nicht eine sozialistische bzw. sozialdemokratische Partei jedes Mal mit so großem Vorsprung gewinnen dürfen.

Der SPÖ ist es trotzdem gelungen, jenseits von Wahlen effiziente Strukturen aufzubauen und dadurch über Jahrzehnte die Basis für ein Kernland zu schaffen, das auch trotz diverser trauriger Höhepunkte roter Regentschaft - man erinnere sich etwa an den Fall Kery mit den drei Fragen Josef Caps über Partei- und Politikerprivilegien, an den kollektiven Gedächtnisschwund des Parteivorstands im Prozess Matysek gegen Sinowatz, oder an die Sicherung des Landeshauptmannsessels mittels abtrünniger FPÖ-Stimme . . . - den "ihren" stets die Treue hielt. Unter dem Strich steht die SPÖ als Symbol für das soziale und wirtschaftliche Selbstwertgefühl der Burgenländer.

Die Landesbank als Dauerthema ohne sozialdemokratische Ruhmestaten ändert daran nichts.

Offensichtlich wurde das Phänomen Burgenland von der SPÖ frühzeitig erkannt und der ländliche Raum zur sprachlichen Kampfzone erkoren. Schon am triumphalen Wahlabend in der Steiermark wurden Parallelen zwischen Postamt-, Polizeiposten- und Schulschließungen in kleinen Gemeinden für ganz Österreich thematisiert. Das war ein wenig konstruiert - Franz Voves wurde nicht vom Postfuchs zum Landeshauptmann gemacht -, ist jedoch strategisch vollkommen richtig.

Ob es Zufall ist, dass Norbert Darabos lange Jahre erfolgreich im Burgenland tätig war? Für den Bundesgeschäftsführer als möglichen Leiter des SPÖ-Nationalratswahlkampfs - vorausgesetzt, man einigt sich im kuriosen Triumvirat der Kommunikation mit Doris Bures und Joe Kalina darauf - wäre das ein nicht zu unterschätzendes Qualifikationsmerkmal.

Warum das Phänomen Burgenland trotzdem so wenig Beachtung findet, ist leicht erklärt: 242.000 Wahlberechtigte inklusive der 16-und 17-Jährigen stellen vier bis fünf Prozent von mehr als sechs Millionen möglichen Wählern auf Bundesebene 2006 dar. Je nach Wahlbeteiligung bedeutet das, dass selbst erdrutschartige Veränderungen von plus oder minus zehn Prozentpunkten im Burgenland für das Gesamtergebnis einer Nationalratswahl einen fast vernachlässigbaren Gewinn bzw. Verlust von unter 0,5 Prozent ergeben würden.

Insofern haben alle Politikbeobachter aus Wien, die oft über das 500 Kilometer entfernte Tirol mehr wissen als über die burgenländische Politik vor der Haustür, eine notdürftige Rechtfertigung ihres ignoranten Verhaltens.

Für die SPÖ gilt allerdings, dass ihr eine teilweise Übertragung des burgenländischen Erfolgsmodells auf mehrere Regionen Österreichs den Sieg bei den Nationalratswahlen sichern könnte. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.10.2005)