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Einfühlsam, präzise, ausdrucksvoll, ja einzigartig wunderbar sind die Geschichten der großen Meisterin der zeitgenössischen, russischen Erzählkunst: Ljudmila Ulitzkaja. Sie ist profunde Kennerin all dieser kleinen und großen Augenblicke, die das komisch-tragische eigenwillige Leben vieler Frauen in all seinen liebenswerten Aspekten widerspiegelt und trotzdem klammert sie die grauenhaften Gewaltverhältnisse zwischen den Geschlechtern niemals aus. In ihrem neuen Roman "Ergebenst, euer Schurik" drehen sich die Frauengeschichten um einen jungen Mann, der eigentlich ein Mädchen werden sollte:

"Eine Tochter war Familie, eine Tochter war Freundin, eine Tochter war eine Stütze – darauf fußte ihr eigenes Leben. Als anstatt des Mädchens ein Junge zur Welt kam, waren beide, Mutter und Großmutter, verwirrt: Dahin waren die heimlichen Pläne, das schöne Familienporträt, das ihnen vorgeschwebt hatte: Jelisaweta Iwanowna vor dem wunderschönen Kachelofen, die Hand auf der Schulter der vor ihr sitzenden Vera, und auf Veras Schoß ein reizendes lockenköpfiges Mädchen. Wie in dem Kinderrätsel: zwei Mütter, zwei Töchter und eine Großmutter mit Enkelin."

Vera, eine Künstlerinnennatur, gescheiterte Schauspielerin, Buchhalterin, die für die Grobheit der heutigen Männer nicht geschaffen war – welche ist das schon? – und die liebenswerte Großmutter, eine begnadete, charismatische Pädagogin, Dozentin für französische Literatur, Beschaffungs- und Organisationstalent, - "zwei breitflügelige Engel, standen zu seiner Linken und zu seiner Rechten. Diese Engel waren nicht fleisch- und geschlechtslos, sondern spürbar weiblich, und von klein auf bildete sich bei Schurik das Gefühl heraus, das Gute an sich sei etwas Weibliches" - erzogen einen passablen Liebhaber heran, einen der Frauen respektierte und der zu Frauen niemals Nein sagen kann.

So erfahren wir einiges über Lilja Laskina, eine jüdische Studentin, die nach Israel emigriert, Matilda Pawlona, Bildhauerin mit drei Katzen, die Kasachstanin Alja Togussowa, ein As in Chemie, Faina Iwanowna, Veras Chefin und Hauptbuchhalterin, Valerija Adamowa Konezkaja, gehbehinderte Bibliothekarin und Chefin, Sonja, genannt Tschingis Chan, Swetlana eine Psychopathin, Shanna, ein kleine Partybekanntschaft und viele andere mehr… Dazwischen immer wieder Schurik, der sich den Frauen nicht entziehen kann und nicht an die romantische Liebe glaubt. Alles in Allem ein Höhepunkt der Romankunst von Ljudmila Ulitzkaja und der Romankunst überhaupt! Frauen, die Liebesgeschichten und Verwicklungen lieben, die weit weg von romantischem Kitsch sind, werden ganz einfach begeistert sein!