An dem Engagement, das vor allem die französische und kanadische Regierung dafür – und die amerikanische dagegen – an den Tag gelegen haben, lässt sich ablesen, dass diese Konvention eine Strahlkraft entwickeln könnte, die andere internationale Gremien nicht unbeeinflusst lassen wird. Zuvorderst zu nennen: die Verhandlungen über das Dienstleistungsabkommen GATS der Welthandelsorganisation WTO.
"Wir sind davon überzeugt, dass kulturelle Aktivitäten und Güter sowohl eine ökonomische als auch eine kulturelle Natur haben." Dieser unscheinbare Satz in der Präambel der Konvention war wohl am härtesten umfochten, weil er eine Selbstverständlichkeit ausspricht, die das GATS vehement bestreitet: Kultur ist eben doch keine Ware wie jede andere und darf daher nicht unbeschränkt den Marktgesetzen ausgeliefert werden.
Das national-konservative Lager innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung wittert indessen in dem Zustandekommen der neuen Unesco-Konvention einen großen Sieg, weil es glaubt, damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen zu haben: Erstens sieht es sich in seiner Befürwortung einer protektionistischen Kulturwirtschaftspolitik bestätigt, die zweitens unter dem Vorwand des "Schutzes der (National-)Kultur" weiter voran 2. Spalte getrieben werden könne. – Irrtum: Letzteres ist nämlich schlicht eine sinnentfremdete Verkürzung des eigentlichen Konvention-Titels, der da lautet: "Schutz und Förderung der kulturellen Vielfalt". Damit, und das durchdringt sämtliche Bestimmungen und Forderungen des Papiers, ist genau das Gegenteil von Kulturkonservierung und Wirtschaftsprotektionismus gemeint. Tatsächlich sind die Hauptanliegen der Konvention entwicklungs- und demokratiepolitischer Natur.
Konkret fordert sie zum einen die Öffnung der kulturellen Märkte – nicht generell, wie es das GATS will, sondern bevorzugt für Entwicklungsländer – und im Zuge dessen eine massive finanzielle Unterstützung kulturpolitischer Maßnahmen in der Dritten Welt; zum anderen verlangt sie innerhalb der Gesellschaften verstärkte Bemühungen um demokratiepolitische Fortschritte – insbesondere zugunsten benachteiligter und marginalisierter Bevölkerungsgruppen.
Wer schützt wen?
Das bedeutet – generell – eine Abkehr von einer Kulturpolitik, die sich immer mehr als Wirtschaftsförderung für die heimische Kulturindustrie versteht, und – finanziell – vermehrte Zuwendungen an Foren von Minderheiten und an nicht kommerzielle Kulturinitiativen. Die Konvention besteht vor allem darauf, dass sozialpolitische Maßnahmen getroffen werden, die Minderheiten überhaupt erst die Chance eröffnet, sich in die kulturelle Vielfalt eine Landes einbringen zu können.
Kurzum: Die Konvention – ist man gewillt, sie beim Wort zu nehmen – zielt gegen die bisherige Praxis nationaler und europäischer Kulturpolitik und sicher nicht auf Schutzmaßnahmen für den Tirolerhut. (Andernfalls wäre die optimistische Rede vom "großen Wurf" wohl auch kaum gerechtfertigt.)
Dass es in der österreichischen Politik Kräfte gibt, die die Konvention auf diese Weise interpretieren, wie sich jüngst bei der – reichlich verspäteten – Nationalratsdebatte zum UN-Vertragswerk zeigte, spricht nicht gegen den Reali 3. Spalte tätsgehalt dieser Feststellung: Die Freiheitliche Helene Partik-Pablé etwa ließ verlautbaren, dass nun die spezifische österreichische Kultur im Rahmen der europäischen Vielfalt gefördert und geschützt gehöre. Es spricht vielmehr für die Ignoranz, die in Österreich die (Nicht-)Diskussion zu diesem Thema beherrscht – während Politik und Zivilgesellschaft unserer unmittelbaren Nachbarn Schweiz und Deutschland vier Jahre lang engagiert den Text der Konvention mitgestalteten –, und legt den Verdacht nahe, dass das Missverstehen tatsächlich auf einer spezifisch österreichischen Leseschwäche fußt, die ganz und gar nicht geschützt gehört.
Daher noch einmal in aller Deutlichkeit: Die Konvention rechtfertigt nicht die "Festung Europa", wie sie sich gerade in Nordafrika materialisiert, nicht die Diskriminierung von Migrantenkindern in der österreichischen Gesetzgebung, 4. Spalte nicht die Subventionskürzungen für migrantische Selbsthilfeinitiativen, nicht das finanzielle Ausbluten zivilgesellschaftlicher Strukturen, nicht die generelle Abschottung der kulturellen Märkte . . . – Sie will das Gegenteil!