Monika Faber leitet die Fotosammlung der Albertina. In "Stadt.Leben.Wien" zeigt sie Fotografen der "k.k. Staatsdruckerei", die großformatige Aufnahmen vom Ausbau von St. Stephan bis zum Abriss der Stadtmauern schufen.

Foto: STANDARD/Newald
Im Gespräch mit Anne Katrin Feßler erklärt sie unter anderem die Rolle der österreichischen Staatsdruckerei für das damals noch junge Medium.


STANDARD: Wie reagierte die Fotografie 1850 auf die sich wandelnde Stadt?

Faber: Die Fotografie war 1850 gerade mal elf Jahre alt und daher noch im Pionierstadium. In Wien gab es mit der Hof- und Staatsdruckerei eine Institution, die sich besonders dem Thema Stadtvedute widmete. Diese konsequente Dokumentation ist sehr selten, denn erstens waren in den bevölkerten Straßen lange Belichtungszeiten problematisch, weil Leute im Motiv als störend und nicht etwa dekorativ angesehen wurden. Zweitens sind mittelalterliche Städte wegen ihrer engen Straßen schwer zu fotografieren. Ein Ausschnitt kann nur sehr schwer dem klassischen, Überblick gebenden Empfinden einer Vedute, wie etwa bei Rudolf von Alt, entsprechen. Das konnte die Fotografie nicht. Die Staatsdruckerei hat deswegen an entsprechenden Strategien gearbeitet und spezielle Kameras gebaut.

STANDARD: Wie viel Anteil an der damaligen Fotografie hatte repräsentative, wie viel dokumentarische Funktion?

Faber: Repräsentation und Dokumentation sind nicht unbedingt Gegensätze. Auf jeden Fall handelte es sich um Fotografie, die nicht von vornherein Kunst imitieren und produzieren wollte, da die Fotografen in der Staatsdruckerei keine - wie andernorts oft - ausgebildeten Künstler waren. Repräsentation und Dokumentation gingen sozusagen Hand in Hand, denn das Dokumentierte waren repräsentativer Bauten- Schönbrunn, Belvedere - oder gaben Überblick über die kaiserliche Residenzstadt: Dokumentation ist gleichzeitig Machtrepräsentation.

STANDARD: Wo werden in den ausgestellten Aufnahmen künstlerische Aspekte spürbar?

Faber: Das Produzierte war so radikal und neu, dass Künstler später auf diese ungewöhnlichen Sichtweisen zurückgegriffen haben. Die Frage, was an der Fotografie Kunst ist und was nicht, stellt sich so also nicht. Ob es als Kunst, als Ansichtskarte oder als Dokument geplant war, das ist vollkommen uninteressant.

Es sind faszinierende Bilder, die Stadt in ganz neuer Art und Weise zeigen und insofern auf das künstlerisches Empfinden der Menschen gewirkt haben.

STANDARD: Es gab also keine Fotografien, die nur der "Schönheit" ihrer Motive verpflichtet waren?

Faber: Die großen Stillleben von Roger Fenton oder die Arrangements von Julia Margaret Cameron (Anm.: nicht ausgestellt), die wollten schon immer Kunst sein. Aber in dem Moment wo ein komplett neues Medium existiert, muss man sich fragen, ob nicht allein die komplett neuen Möglichkeiten, die Kunst verändert. Bestehende Sehgewohnheiten werden durch neue technische Möglichkeiten und Notwendigkeiten verändert. Die Fotografien der Basteien an der ehemaligen Stadtmauer und die vierzig Jahre jüngeren der Wiener Linienwälle an der Grenze zu den Außenbezirken zeigen, wie sich die Auffassung der Stadt, das Leben und nicht nur die fotografische Technik ändert: Da liegen Welten dazwischen. Mit dem Wegfall der Stadtmauern nach 1858 und der Integration der Vorstädte setzte eine Modernisierung ein, die das Leben dort so "blühend" und letztlich auch bildwürdig machte.

STANDARD: Und dann kamen auch die Menschen ins Bild.

Faber: Das Bestreben, Menschen in der Stadt zu fotografieren wurde ab dem Zeitpunkt, wo es kürzere Belichtungszeiten gab, auch versucht. Es ist toll zu sehen, wie sich in frühen Bildern Menschen in Form von Schatten entziehen und dann plötzlich sind sie sichtbar.

STANDARD: Wie kamen die Fotografien der Staatsdruckerei in die Albertina?

Faber: Die Sammlung der Staatsdruckerei ist im Zweiten Weltkrieg in Flammen aufgegangen, dort ist nichts erhalten. Ein Grund, warum sich nun einiges in der Albertina befindet ist, dass die Fotos, die man 1850 bei der Weltausstellung zeigte, danach dem Kaiser geschenkt wurden. Wir haben sie gefunden, als begonnen wurde die Fotosammlung durchzuackern.

STANDARD: Welche Bedeutung hatten die Staatsdruckerei und ihr Leiter Alois Auer für die Weiterentwicklung der Fotografie?

Faber: Die Bedeutung lag vor allem in der Einführung technischer Neuerungen: Sie hatten immer die größten Kameras, die besten Objektive usw. Ihre niveauvolle Produktion bediente niemals Porträts oder Genrefotografie, sondern ein bewusst limitiertes Segment künstlerischer Reproduktion, wissenschaftlicher Fotografie, Stadt- oder Baudokumentation. In anderen Ländern wurde dieser Bereich von privaten Fotografen bedient. Als staatliche Institution hatte die Staatsdruckerei aber mehr Möglichkeiten zu Investitionen, was zu mehr Qualität und der Möglichkeit, andere zu verdrängen, führte. Das wurde ihr auch zum Vorwurf gemacht. Wegen dieser Grundvoraussetzungen haben sie auch tatsächlich bei Weltausstellungen und andernorts alle Preise eingeheimst.

STANDARD: Wenn die Produktion schon so teuer war, wer konnte sich damals Fotografien leisten?

Faber: Die Produkte waren einem limitierten Kreis vorbehalten; wahrscheinlich dieselben, die vorher Lithografien und Radierungen gekauft haben. Fotografisches Material gelangte also nicht in Schichten, die auch vorher niemals mit Bildern bedient wurden, auch wenn das Auers Pläne gewesen wären. Den Sprung in eine billigere Technologie, die erlaubt, dass Fotografie auch bürgerliche Gesellschaftsschichten erreicht, hat die Staatsdruckerei nicht mehr erlebt. Mit 1860 wurden diese Produktionen eingestellt.

STANDARD: Das fällt mit dem Ende von Auers Tätigkeit zusammen. Faber: Ja, weil man Alois Auer abgesetzt hat, ist auch die Fotografie zurückgedrängt worden: "Der Staatsbetrieb muss auf das Kerngeschäft beschränkt werden, damit den privaten Unternehmen nicht das Geschäft entzogen wird." (SPEZIAL, DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2005)