Allen Frohbotschaften auf dem Parteitag zum Trotz: Die ÖVP hat sich mit dem Regierungsprogramm günstig positioniert, die FPÖ ist hingegen in eine prekäre Lage geraten. Denn die geplanten Maßnahmen belasten die Kernschichten der ÖVP kaum oder begünstigen sie sogar (Unternehmer und Landwirte), gleichzeitig werden jene "kleinen Leute", welche in den vergangenen Jahren der FPÖ zugelaufen sind, am stärksten belastet.

Diese Kernklientel der Freiheitlichen - kleine Angestellte, schlecht qualifizierte Arbeiter, Saisonarbeiter, geringfügig Beschäftigte, Langzeitarbeitslose und ältere Menschen mit niedrigen Pensionen - wird nicht nur durch die Erhöhung der indirekten Steuern und Gebühren überproportional belastet, sondern kumulativ durch andere Maßnahmen: Diese Personen sind aus Arbeits- oder Altersgründen öfter krank und damit von Selbstbehalten besonders betroffen. Sind sie über 50 und werden arbeitslos, können sie nur schwer eine neue Beschäftigung finden; die Erhöhung des Pensionsantrittsalters und der Abschläge sowie die "Pflichtarbeit" für Langzeitarbeitslose belasten diese Gruppe daher besonders.

Der Lohndruck wird in diesem Beschäftigtensegment durch den Wegfall des Berufsschutzes für Arbeitslose, die Lockerung der Schutzbestimmungen für Lehrlinge sowie durch die Ausweitung des Kontingents ausländischer Saisonniers zunehmen.

Schließlich werden die Urlaubsaliquotierung sowie die Regelung, wonach Unternehmen Beiträge an eine Abfertigungs- bzw. betriebliche Pensionskasse nur für länger als ein Jahr Beschäftigte leisten müssen, die Tendenz zur Kurzzeitbeschäftigung verstärken. Die Betreffenden werden daher kaum in den Genuss einer betrieblichen Altersversorgung kommen.

Im Gegensatz zu den "kleinen Leuten" müssen die Gut-und Bestverdiener nach den Plänen der Regierung keinen nennenswerten Beitrag zur Budgetkonsolidierung leisten, obwohl auch sie von den Hauptursachen für den Defizitanstieg, der Steuerreform und dem Familienpaket, profitierten: Die Erhöhung der indirekten Steuern trifft ja primär die Bezieher niedriger Einkommen, und Einsparungen berühren all jene nicht, die nichts vom Staat erhalten wie etwa Haushalte mit zwei Verdienern ohne Kinder.

No-win-Situation

Am extremsten zeigt sich diese Verteilungsproblematik bei den "Superreichen": Sie haben ihr Vermögen in Privatstiftungen eingebracht und zahlen lediglich für die Entnahmen 25 Prozent KESt. Hat etwa eine Stiftung ein Vermögen von zehn Mrd. S, dem im Jahr eine Mrd. an Erträgen zufließt, von der der Begünstigte (De-facto-Eigentümer) vier Millionen für seinen Lebensunterhalt entnimmt, werden dafür eine Million an Steuern erbracht - bezogen auf die Erträge beträgt die Steuerquote somit 0,1 Prozent. Würde der Staat nicht die Entnahmen, sondern die Erträge mit 25 Prozent KESt belasten, könnte er nahezu zehn Mrd. an Einnahmen lukrieren und sich damit viele Belastungen der "kleinen Leute" ersparen.

Der dramatische Positionswechsel in den Meinungsumfragen bestätigt, dass es der ÖVP mit diesem Regierungsprogramm gelungen ist, ihre strategische Lage auf Kosten der Blauen außerordentlich zu verbessern. Daraus ergibt sich für die FPÖ folgendes Dilemma: Entweder sie positioniert sich weiterhin als "Anwalt der kleinen Leute" - dann wird sie durch die Realisierung des Regierungsprogramms gerade bei diesen Hauptbetroffenen an Glaubwürdigkeit verlieren; oder sie versucht durch eine Neupositionierung als bürgerlich-wirtschaftsliberale Partei neue Wählerschichten zu gewinnen - was an der "Schmied-Schmiedel-Problematik" scheitern wird: Die ÖVP ist als Unternehmerpartei besser etabliert und daher glaubwürdiger. Die unterschiedlichen Positionen zum künftigen Kurs der FPÖ von Prinzhorn und Grasser einerseits und Haider andererseits verdeutlichen das Dilemma.

Ein Lösungsversuch könnte in folgender "Doppelstrategie" bestehen: Haider zieht sich nach Kärnten zurück, pflegt weiter sein Image als "Anwalt der kleinen Leute", macht Vorbehalte gegen einzelne Regierungsmaßnahmen und schürt den Konflikt mit den EU-Partnern zwecks Ablenkung von den sozialen Konsequenzen des Regierungsprogramms, während gleichzeitig die FPÖ-Minister dieses durchziehen.

Gegen diese Strategie arbeitet allerdings die Zeit: Der EU-Konflikt wird an Brisanz verlieren, die Regierungspolitik werden aber die "kleinen Leute" weiterhin spüren. Auch die Rechtfertigung ihrer steuerlichen Mehrbelastung mit dem von SPÖ (und ÖVP) verursachten Budgetdefizit wird in dem Maß unglaubwürdig werden, in dem auch den "kleinen Leuten" klar (gemacht) wird, dass die Gut- und Bestverdiener keine nenneswerten Konsolidierungsbeiträge leisten müssen.

Der Preis der Macht

Rekapituliert man die Monate seit den letzten Wahlen, so wird eines klar: Schüssel hat strategisch brillant agiert. Mit der Oppositionsdrohung rang er der SPÖ ein Programm ab, das einer Selbstverleugnung gleichkam, mit dieser "Zermürbungstaktik" gewann er überdies soviel Zeit wie nötig, um die ÖVP selbst für eine Koalition mit der FPÖ bereit zu machen. Unter großem Zeitdruck stimmte die FPÖ dem sozial weiter verschärften Regierungsprogramm rasch zu, das nun seine gegen die FPÖ-Klientel gerichtete Langzeitwirkung entfaltet.

So könnte es Schüssel tatsächlich gelingen, die FPÖ "zurückzustutzen". Allerdings dürfte die partielle Transformation der ÖVP von einer christlich orientierten Volkspartei in eine neoliberale Partei der Unternehmer und Landwirte auch sie etwas kosten. Den größten Preis werden aber andere bezahlen.

Stefan Schulmeister ist Wirtschaftsforscher in Wien.