Von einer Krise der Grünen zu sprechen ist mehr als übertrieben - denn objektiv gesehen haben sie in Wien zugelegt, sie können zu Recht darauf verweisen, dass das Wiener Ergebnis eines der besten ihrer gesamten Geschichte ist.

Froh werden sie damit aber selber nicht.

Schon gar nicht kann trösten, dass Österreichs Grüne im internationalen Vergleich eine Spitzenstellung einnehmen. Denn die Erwartungen an die grüne Partei liegen hier auch besonders hoch. Vor allem bei ihren deklarierten Parteigängern.

Man kann sich den Parteichef gut als Vizekanzler, Kanzler, vielleicht auch Bundespräsidenten vorstellen. Andererseits wird den Grünen in Umfragen immer noch vor allem ein Thema zugeschrieben: Umweltschutz - und erst weit, weit dahinter der Schutz der Menschenrechte. Dieses zweite Thema hat viel mit Anstand zu tun, aber mit Anstand allein gewinnt man keine Wahlen - im Gegenteil: Sich auf Menschenrechte für Schwache und Verfolgte zu berufen kann sogar Stimmen kosten.

Das heißt nicht, dass man deswegen den Anstand aufgeben soll. Aber wenn die Grünen wachsen wollen, müssen sie mit anderen Themen wahrgenommen werden als mit dem Protest gegen Umweltzerstörung (ein Thema, das derzeit wenig als Aufreger taugt) oder mit Protest gegen Menschenrechtsverletzungen (was vielen zu kompliziert erscheint).

Überhaupt haben sich die Protestwähler in den letzten Jahren Figuren wie Haider und neuerdings auch Strache zugewendet - ein neues, größere Wählergruppen ansprechendes Thema für Protest müssten die Grünen erst einmal finden. Und wenn das nicht gelingt? Dann müssen sie wenigstens besser als bisher erklären, dass sie umfassende politische Programme haben, die tauglich sind, umgesetzt zu werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2005)