In der Kunsthalle ist ein roter Teppich ausgelegt. Gleißende Scheinwerfer, Fotografen streiten um die besten Plätze, Kamerateams schwirren durch die Menge. Es ist Fashion Week in Wien, und in besonders glitzernden Momenten könnte man meinen, man wäre in Mailand, Paris oder New York. Nur, dass dann doch nicht Paris Hilton oder Kritikerinnenpäpstin Suzy Menkes um die Ecke biegt, sondern Gery Keszler und das "Seitenblicke"-Team. Wirklicher Glamour schaut anders aus.
Um den geht es in der Modestadt Wien auch nicht. Hier ist man froh, dass es eine Sache wie die (etwas großspurig so genannte) Fashion Week überhaupt gibt - und dass sie ohne peinliche Interferenzen über die Bühne geht. Während andernorts Designer tief in die Tasche greifen, um ihre Kollektionen zu zeigen: In Wien wird die Show den Auserwählten bezahlt. Während andernorts Journalisten um Einladungen zu den Schauen ringen: Hier ist man froh, wenn sie überhaupt kommen. Österreich und Modedesign, das ist eine Beziehung der schwierigen Art. Außer dem großen Helmut ist hier wenig gewesen.
Und doch: Mit dieser Trauerweiden-Haltung könnte bald Schluss sein. Warum sollten die Modemacher in Österreich nicht Ähnliches wie die Wiener Elektronikszene in den Neunzigern schaffen? Gründe dagegen gibt es genug, Anzeichen "dafür" allerdings auch. "Wir haben es nur noch nicht mitbekommen", sagt Hermann Fankhauser, der zusammen mit Helga Schania Wendy & Jim betreibt, das derzeitige Vorzeige-Label aus Österreich, "aber die internationale Szene ist an Wien interessiert."
Noch fehlt allerdings die wirkliche Initialzündung
Der Mode-Blick von außen verbindet Wien weit stärker mit seiner Vergangenheit, der Jahrhundertwende, der Wiener Werkstätte, dem Jugendstil, als mit den aktuellen Laufsteg-Protagonisten. Bei Louis Vuitton hat Marc Jacobs diesen Herbst und Winter eine ganze Kollektion auf Wien um 1920 aufgebaut. Orientiert an den geometrischen und architektonischen Arbeiten der Wiener Werkstätte verbindet er Ballonärmel mit eng anliegenden Jacken, setzt auf Fischgrät, Tweed, Samt und Pelz. Aufregend frisch sehen diese Neuinterpretationen aus und so gar nicht historistisch verstaubt. Ähnlich das Schweizer Edel-Label Akris, dessen Silhouetten einfacher, gerader gehalten sind, sich an einem Loos'schen Purismus orientieren und als Kontrast mit Dagobert-Peche-Mustern spielen. Der italienische Zeremonienmeister Roberto Cavalli hat sich dagegen auf Klimt (wen sonst?) gestürzt.
Allesamt Haltungen, mit denen die hiesigen Designer weniger anfangen können. Für sie ist die Vergangenheit eher Bürde, Mode um der Schönheit, der Behübschung willen spielt kaum eine Rolle. Das macht die Situation vor Ort nicht unbedingt einfacher, international aber wird die Kompromisslosigkeit geschätzt. Hinter vorgehaltener Hand spricht mancher bereits von einem speziellen Wiener Konzeptstil, der gerade dabei ist zu entstehen. Keine wirkliche Schule, wie das etwa im Falle von Antwerpen vor gut zwanzig Jahren der Fall war (siehe auch Interview mit Veronique Branquinho auf Seite 18 und 19), sondern eine Reihe starker Einzelpositionen, die sich gegenseitig berühren. "Sieht man sich die Shows der diesjährigen Fashion Week an", sagt Petar Petrov "dann sind da viele Gemeinsamkeiten zu entdecken."
Der erst 28-jährige Petrov...
... Angewandte-Abgänger bulgarischer Herkunft, ist derzeit der interessanteste Newcomer. Zweimal hat er bisher in Paris gezeigt, in Japan, Australien, Lon- don und Paris verkauft er bereits. Nur in Wien sind seine Männerkollektionen noch nicht zu haben. "Kein Problem", meint der Designer selbst dazu, Wien ist für ihn Kreativzentrum - genauso wie für Wendy & Jim, die die Stadt weit eher als (ruhige) Arbeits- denn Wirk- beziehungsweise Verkaufsstätte sehen.
Wie auch: Das Kaufverhalten in Wien ist immer noch von sehr traditionellen Modevorstellungen geprägt - für innovatives Modedesign wird hier kaum Geld ausgegeben. Eine Haltung, die sich auch im Bereich der Wirtschaft widerspiegelt. "Die heimische Textilwirtschaft scheut die Experimentierfreudigkeit", bringt Norbert Kettner vom departure-Förderprogramm der Stadt Wien die triste Wirtschaftssituation auf den Punkt. Dass mit Innovationen durchaus Geld gemacht werden kann, dass sie einen Standort stärken, dass sie Touristen und neue Kreative anziehen, das wird vielen erst langsam bewusst.
Eine Erkenntnis, mit der allerdings auch viele Modemacher...
... selbst noch Schwierigkeiten haben. Fern ökonomischer Erfordernisse basteln sie an ihrem Image als Kunstträger - und vernachlässigen die betriebswirtschaftliche Seite ihrer Unternehmen. "Es muss nicht jeder Designer ein Buchhalter sein", erklärt Kettner, "aber so ganz ohne wirtschaftliche Kenntnisse geht es auch nicht." Tröstlicher Zusatz: "Die Situation ist in den vergangenen Jahren aber bereits viel besser geworden."
Das ist vor allem Unit F zu verdanken. Seit fünf Jahren gibt es jetzt das von Bund und Stadt finanzierte (und mittlerweile am Limit arbeitende) Modebüro, die österreichische Zentralinstitution für alle Modebelange. 110.000 Euro vergibt es jährlich an Geldern - das ist nicht viel, aber das ist auch nicht ganz wenig.