Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten – Archiv – zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war in den letzten Wochen. Und wahrscheinlich wird es wieder sein. Und während A. vor allem die Tristesse der Szene ins Auge sticht, versuche ich das Positive zu sehen. Zumindest in Spurenelementen. Und deswegen bin ich jedes Mal stolz, wenn wir nach dem Einkaufen in der U-Bahn oder sonstwo stehen – und ich ohne zu lügen fragen kann, wovon A. überhaupt spricht. Weil mir nichts aufgefallen ist.

Aber A. sieht eben eher das Gesamtensemble: Die Trinker beim Hudriwudri-Aschenbecher in der U-Bahn Station. Die Alkoholiker auf der Bank gegenüber dem kalt verfliesten Stiegenabgang zum Mariahilferstraßenmerkur ein Stockwerk drüber. Die Punks ebenfalls nie ohne Wein-Tetrapack oder anderen billigen Schnellverschlüssen gegen die Wirklichkeit – im windgeschützten Vorbereich des Stiegenabganges. Ihre dreckigen Hunde. Der Geruch von Pisse und Erbrochenem auf den Stufen – und die menschlichen Auswerfungen aller Art, die meist nur oberflächlich mit weggeworfenen Werbefoldern zugedeckt werden: Letztens stiegen wir über eine satte, noch feucht glänzende Blutlache, die sich als Tröpfchenspur bis auf die Straße zog.

Wegvergraulen

Wenn wir da unsere Wohlstandsübersättigung in Einkaufstaschen vorbei-, drüber- und durchtragen, könnte das, meint A., doch glatt die Lust am mittelständisch-oberflächlichen Shoppingvergnügen beschädigen. Und genau deshalb wundert sie sich, dass all diese menschlichen Relikte nicht längst mit mehr oder weniger rechtlich abgesicherten Mitteln von hier weggewiesen oder sonst wie wegvergrault worden sind: Das wäre doch, meint A., viel zeitgeistiger, als das Treibgut vom Rand der Überflusswelt als Memento mori für Angehörige unserer Bobogesellschaft an einem zentralen Ort schlecht aussehen und übel riechen zu lassen. Und ihr persönlich ein schlechtes Gewissen zu machen. Nicht wegen einer spezifischen Handlung oder Unterlassung – sondern ganz allgemein. Weil da doch irgendwas nicht zusammen passe.

Ich habe A. da einiges voraus: Ich sehe das alles nicht. Ich habe wegschauen gelernt. Weghören und wegriechen sowieso: über die Blutlache von neulich, sagt mir A., sei ich einfach drüber gestiegen. Und ich hätte nachher gar nicht gewusst, was sie gemeint habe, als sie sagte, da sei sogar ihr etwas anders geworden. Aber ich bin kein Ignorant: Meinem persönlichen Augustinverkäufer kaufe ich immer ein Heft ab. Weil mir meine Umwelt nicht wurscht ist.