Bild nicht mehr verfügbar.

Afrikanische MigrantInnen lagern vor der spanischen Enklave Melilla.

Foto: AP/EMILIO MORENATTI
Die Toten in Schiphol, jene in den marokkanischen EU-Enklaven Ceuta und Melilla und Todesfälle wie der eines 18- jährigen Afrikaners in der Schubhaft in Linz weisen auf das gleiche Problem hin: Die Staats- und Außengrenzen der EU sowie die Schubgefängnisse entwickeln sich mehr und mehr zu Orten letaler Zwischenfälle.

Das mag, jeden Zwischenfall einzeln betrachtet, an den jeweils unverwechselbaren Umständen liegen: hier die geografische Lage in Nordafrika, dort wahrscheinlich eine übersteuerte Fußbodenheizung. Auch mögen manche Betroffenen - etwa Drogenkriminelle wie in Schiphol - nicht zu den unterstützenswerten Sympathieträgern gehören, doch in der wohlhabenden und relativ sicheren EU-Binnenwelt machen sich die mit Stacheldraht bewehrten Schubhafteinrichtungen und die dort stattfindenden Vorkommnisse wie wahre Schandflecke aus.

"Alles Kriminelle"

Kein Wunder also, dass viele EU-Bürger - unter ihnen auch die Mehrheit der Österreicher - sich mit Grausen abwenden und die Schuld ausschließlich bei den abzuschiebenden Personen ("hauptsächlich Kriminelle" usw.) suchen. Doch hinschauen lohnt - und zwar nicht nur im Sinne Ingeborg Bachmanns und ihrer Rede von der den Menschen zumutbaren Wahrheit. Mit der Frage nämlich, wie es mit den an den beschriebenen Orten befindlichen - unschuldigen ebenso wie straffällig gewordenen - Menschen weitergehen soll, fallen mindestens zwei für ein gemeinsames Europa zentrale Entscheidungen. Erst einmal rechtspolitische und grundrechtliche: Unter welchen Bedingungen und wie lange darf man zum Beispiel jemanden einsperren, der als Abzuschiebender lediglich gegen Verwaltungsrecht verstoßen hat?

Hier haben verschiedene EU-Mitgliedsländer derzeit sehr unterschiedliche Ansichten: Mancherorts, etwa in Skandinavien oder auch in deutschen Modellanstalten, leben Abzuschiebende nicht in der Enge einer Zelle.

In Österreich hingegen sitzen sie - oftmals zusammen mit heimischen Verwaltungsstraftätern - unter Bedingungen wie im Polizeiarrest, also im Gefängnis. Während aus Schiphol vermeldet wird, dass sich rund um den dortigen Gefängnistrakt - noch weitaus martialischer - ein "drei Meter hoher Zaun und Stacheldraht" befinden. Hier täte Vereinheitlichung Not, doch die Union ist davon weit entfernt.

Das zeigt sich auch an den unterschiedlichen Vorstellungen über die Schubhaftdauer: In Österreich dürfen Abzuschiebende ab Jänner 2006 bis zu zehn Monate ohne Unterbrechung hinter schwedische Gardinen verfrachtet werden - während EU-Justizkommissar Franco Frattini für eine Höchstgrenze von sechs Monaten wirbt.

Sechs Monate Schubhaft- höchstdauer, das entspricht genau der Regelung, wie sie in Österreich noch bis Jahresende gilt - einer laut Innenministerin Liese Prokop "im Prinzip vernünftigen" Lösung, die wegen der langen Asylverfahren jedoch nicht zu halten gewesen sei. Pikant, dass ihr Sprecher im gleichen Atemzug für die Zeit der österreichischen EU-Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2006 "intensive Bemühungen für eine Vereinheitlichung des Asylwesens" ankündigt.

Auf welcher Grundlage bitte? Nach wessen Vorstellungen? Die disparaten Ideen, wie man Ungewollte wieder loswerden soll und kann, lassen die Durchsetzbarkeit von Forderungen nach einer EU-weiten Einwanderungspolitik - der zweiten großen Herausforderung angesichts der Abschiebungsmisere - mehr als unsicher erscheinen.

Doch ohne legale Perspektive werden sich Einwanderungswillige - die die europäische Wirtschaft ja durchaus brauchen könnte - weiterhin unter Einsatz ihres Lebens gegen die abgesicherten EU- Grenzen werfen und für Normalbürger von Kriminellen schwer unterscheidbar sein. Und Schubhaftgefängnisse wie in Schiphol werden Orte der Verzweiflung, der Fremd- und Selbstschädigung bleiben - und der Schande. (DER STANDARD, Printausgabe, 28.10.2005)