Die sozialdemokratischen Wahlerfolge in den vergangenen Wochen und mögliche Wahlerfolge in der näheren Zukunft sind erfreulich. Sie bergen aber auch eine große Gefahr in sich: Die Annahme, dass die Wähler/innen in Massen zur SPÖ zurückkehren werden, wenn sie nun erkennen, welches schwarz-blaue Schlamassel sie sich eingebrockt haben, ist genauso falsch wie der Glaube, dass die Wahlniederlage alleine das Ergebnis eines falschen Wahlkampfes oder der Laune einer politisch gelangweilten Bevölkerung sei. Der kontinuierliche Verlust an Vertrauen und Zustimmung ist primär das Resultat einer falschen Politik. Das zeigt sich in der von Reinhold Knoll angesprochenen Sozialpolitik der SPÖ besonders deutlich, gilt aber auch für viele andere Bereiche.

Tabu Umverteilung

Knoll kritisiert die Sozialdemokratie in seinem Kommentar heftig, aber nicht unberechtigt. Seiner Meinung nach "zeigten die SP-Zeitgenossen mehr Interesse am Wohlergehen des Kapitals als an der Humanisierung der Arbeitswelt" und "verschrieben sich ganz dem Neoliberalismus". Das Eintreten für soziale Gerechtigkeit war in den vergangenen Jahren in vielen Fällen tatsächlich nicht mehr als ein Lippenbekenntnis - auch wenn Knolls Kritik etwas zu pauschal und zu oberflächlich ausfällt (dass ein ehemaliger Bundesgeschäftsführer der SPÖ auf direktem Weg in die Konzernzentrale von Frank Stronach wechselt, ist zwar traurig, aber nicht die Schuld der Genossen).

Sozialer Ausgleich wurde oftmals als Hindernis für eine leistungsorientierte und wettbewerbsfähige Wirtschaft betrachtet. Im Mittelpunkt sozialdemokratischer Wirtschafts-und Sozialpolitik standen Schlagworte wie Flexibilisierung und Liberalisierung, Effizienz und Finanzierbarkeit. Über den Sinn oder Unsinn von Maßnahmen in diesem Bereich lässt sich im Einzelnen trefflich streiten, als politisches Credo taugen sie allerdings auf keinen Fall. Die zentrale Frage lautete nicht mehr: "Wie können wir dafür sorgen, dass soziale Ungerechtigkeiten beseitigt werden und es zu einer Umverteilung von oben nach unten kommt?", sondern "Wie können wir angesichts der (teils tatsächlich vorhandenen, teils aber auch nur angeblichen) Sachzwänge die Kosten des sozialen Netzes minimieren, ohne allzu großen Schaden anzurichten?".

Das ist zwar noch immer ein entscheidender Unterschied zur Kaltschnäuzigkeit der derzeitigen Regierung, dem Anspruch vieler Menschen an sozialdemokratische Politik wurde damit aber nicht Rechnung getragen.

Die jahrzehntelange Regierungsbeteiligung der SPÖ hat zwar eine verhältnismäßig niedrige Arbeitslosenrate und sozialen Frieden bewirkt, das Wachsen von sozialen Ungerechtigkeiten und die zunehmenden Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen konnten aber nicht verhindert werden.

Nicht nur das: Die SPÖ wagte nicht einmal mehr, diese Tatsachen offen anzusprechen. Auch das trieb die Wähler/innen in Scharen zur FPÖ. Erst durch die gerade von der Sozialdemokratie vorgeschobene Alternativlosigkeit der praktizierten Politik und die Forcierung des Ellbogendenkens wurden jene Ängste und Neidgefühle geschürt und verstärkt, die sich nicht zuletzt auch in der gestiegenen Ausländerfeindlichkeit niederschlugen.

In den nächsten Monaten und Jahren wird es daher eine der zentralen Herausforderungen für die SPÖ sein, unter geänderten wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen neue Wege zu mehr sozialer Gerechtigkeit zu finden. Wie kann verhindert werden, dass Reiche immer reicher und gleichzeitig Arme immer ärmer werden? Welche Vorschläge gibt es, um die enormen und ungerechtfertigten Einkommens- und Vermögensunterschiede zumindest zu verringern? Solange es der SPÖ nicht gelingt, auf diese Fragen glaubwürdige Antworten zu formulieren und zu vermitteln, solange wird es auch der FPÖ immer wieder gelingen, kurzfristige Tiefs zu überwinden.

Runderneuerung

Der Parteitag und die Ablöse von Viktor Klima durch Alfred Gusenbauer stellen also sicher nicht das Ende, sondern hoffentlich den Anfang eines Neustarts dar. So wie im Bereich der Sozial- und Wirtschaftspolitik gilt es auch in vielen anderen Politikfeldern die Fehler der vergangenen Jahre aufzuarbeiten, um eine solide Grundlage für einen Neustart zu schaffen. Vor allem die Zuwanderungs- und Integrationspolitik der letzten Jahre schreit geradezu nach Selbstkritik und einer entsprechenden Kurskorrektur.

Auch wenn Reinhold Knoll von "trüben Aussichten" für die Sozialdemokratie spricht - die Chancen für eine Runderneuerung der SPÖ waren schon lange nicht mehr so gut wie heute.

Jan Krims, 24, von 1997-1999 Bundessekretär des VSStÖ, ist Vorstandsmitglied der Europäischen JungsozialistInnen (ECOSY).