Bild nicht mehr verfügbar.

Hektisches Treiben, Zurufe und Handzeichen, die nur Insider verstehen: Mit dem Umstieg auf ein digitales System könnte der Parketthandel der New Yorker Börse bald der Vergangenheit angehören.

Foto: AP/KATHY WILLENS
Während andere Weltbörsen längst auf Computer umgerüstet haben, geht es an der New Yorker Börse immer noch zu wie vor 213 Jahren. Damals gründeten ein paar Kaufleute die Vorläuferin des weltweit wichtigsten Finanzplatzes, um Getreide- und Viehkontrakte zu handeln.

Nur hier gibt es immer noch ein richtiges Parkett - das als solches auch jede Nacht gebohnert wird. Nur hier laufen immer noch bunt beschürzte Händler hin und her, um die besten Deals für ihre Kunden rauszuholen. Preis und Stückmenge werden durch Zurufe und Handzeichen untereinander abgemacht.

Eine Verkaufsorder ist hereingekommen: Ted Weisberg schlängelt sich zum Chefmakler, dessen Aufgabe es ist, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Del Monte, ein Hersteller von Dosengemüse, steht bei 11,30 Dollar. Ted will mehr, sagt aber keinem, was er vorhat - Verschwiegenheit gehört zur Strategie. Wissen Kollegen, dass er verkaufen will, halten sie den Preis absichtlich niedrig.

"Das ist ein riesiges Katz- und Mausspiel", flüstert der Händler hinter vorgehaltener Hand. Auf dem Bildschirm des Spezialisten zeigt ein grüner Pfeil nach oben. Del Monte steigt. 11,31, 11,32, . . . 11,35! - Ted schlägt zu: "Wenn es ums Verhandeln geht, sind uns Computer unterlegen, denn sie führen jede Order sofort aus!"

Täglich Milliarden

In 90 Prozent der Fälle erzielt das Parkettpersonal bessere Preise als elektronische Handelssysteme. Große Investmentbanken, die jeden Tag Milliarden von Dollar umsetzen, pfeifen jedoch auf den Mehrverdienst. Sie finden das Auktionsmodell zu langsam. Immer mehr wandern zu den Computerbörsen ab, wo Transaktionen in Sekundenschnelle vollzogen werden. Rund zwölf Prozent der an der New Yorker Börse gelisteten Aktien werden inzwischen an der Nasdaq gehandelt.

Um gegenzusteuern, hat die New Yorker Börse sich mit dem elektronischen Handelsplatz Archipelago zusammengetan, der der Nasdaq schon ein Viertel des Handelsvolumens abgejagt hat. Ab voraussichtlich 2006 können Investoren wählen, ob sie ihre Orders weiterhin über das Parkett oder vollelektronisch abwickeln wollen. Der neu aufgestellte Finanzplatz wird unter dem Namen NYSE Group firmieren und in eine börsennotierte Aktiengesellschaft umgewandelt.

Walter Schubert reibt sich die Hände: Er ist einer der 1366 Miteigentümer der New Yorker Börse und hat als solcher einen "Sitz" - eine Lizenz, die zum Handeln berechtigt. Der Finanzplatz, klagt er, habe turbulente Jahre hinter sich: "Skandale, Wirtschaftsflaute - die Vertrauenskrise war so groß, dass mein Sitz zeitweise nur noch eine Millionen Dollar wert war. Jetzt kriege ich drei Millionen dafür!"

Symbolischer Wert

Der Sitzpreis hat vor allem einen symbolischen Wert. Nur wenige verkaufen ihre Lizenz tatsächlich, denn die Archipelago-Übernahme ist noch lukrativer. Die Miteigentümer bekommen je 300.000 Dollar und werden insgesamt 70 Prozent an der neuen NYSE-Group-Aktiengesellschaft halten.

Deren Potenzial sei schon deshalb enorm, weil der Fusionspartner Archipelago weniger strikte Listingstandards hat. "Künftig kriegen auch kleinere Firmen eine Chance, hier gelistet zu sein, und sich mit dem großen Namen der Leitbörse zu schmücken", frohlockt Schubert.

Melancholie in den Brokerkneipen

Die Brokerkneipen platzen aus allen Nähten. Feierabendstimmung will jedoch nicht aufkommen. Obwohl die New Yorker Börse den Parketthandel vorerst beibehalten will: Keiner glaubt an den neuen Zwittermarkt aus Software und Manpower. Warren Meyers weiß: "Auch die Londoner Börse hatte zunächst so eine Kompromisslösung geplant, aber dann war sehr schnell Schluss mit dem Parketthandel!"

Andrew Lindner erzählt, dass nach dem Platzen der Internetblase zwischenzeitlich jeder zehnte Investmentbanker arbeitslos war. "Ich habe riesige Existenzängste, und so geht es uns allen", seufzt er. "Auf dem Parkett arbeiten 5000 Menschen - wo sollen wir hin, in einer Industrie, die durch solche Konsolidierungen gegangen ist?" (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 02.11.2005)