Junges Glück im alten Wirtshaus: Michael Böhm kocht, Freundin Maria serviert. Wie soll da der Haussegen schief hängen?

Foto: Gerhard Wasserbauer

Zwischen Wurlitzer und Spitzendeckerl wird jetzt richtig gut gekocht.

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Schon klar: So anmutig, aussichtsfreundlich und stadtnah, wie sich der Wienerwald zwischen Exel- und Riederberg ins gastronomisch reich gesegnete Tullnerfeld hinablässt, das ist für das Umland einer Millionenstadt ziemlich einzigartig. Wer hier am Wochenende Belohnung fürs Spazierengehen sucht, der sollte sich sputen. Tolle Wirtshäuser sind in der Gegend zwar so eng gesteckt wie kaum sonst wo im Lande, ihr Ruf aber sorgt auch dafür, dass sie meistens gesteckt voll sind - die Tullner Gasthaus-Offenbarung "Sodoma" soundso, der formidable "Floh" in Langenlebarn detto, aber auch beim oberentspannten "Lustigen Bauern" von Zeiselmauer, dem Königstettner "Weißen Adler", selbst beim trachtig behübschten "Hütt" in Mitterndorf ist Reservierung Pflicht.

So verirrt man sich halt weiter durch die Landschaft, fährt einmal links, dann wieder rechts und zweimal ganz im Kreis, und wenn der Magen wirklich sofort etwas zu tun bekommen muss, dann biegt man eben ab, dort, wo der nächste Kirchturm winkt, hockt sich ins erstbeste Wirtshaus und schaut einmal, was so kommt. Wer in so einem Fall tatsächlich im Gasthof Böhm in Weinzierl am Riederberg landet, der hat Glück gehabt und darf etwas erleben.

Mitten in einer Eigenheimidylle, die einen von der Sehnsucht nach so etwas kuriert, sitzt ein altes, niederösterreichisches Straßenwirtshaus mit original erhaltener Schank, ehrlichen Resopaltischen, einem Wurlitzer und einem Fischkalter mit Saiblingen im Hof. In der Küche arbeitet Michael Böhm, im Service seine Freundin Maria, über allem jodelt Radio Niederösterreich. An der Schank regiert Mutter Bettina, und Johann, der Senior, ist wohl auf der Weide hinterm Haus, wo die Lämmer spielen. So weit, so schön. Jetzt noch ein ehrliches Schnitzel, und der Tag ist gerettet. Aber hallo, die Karte kann auch von anderen Dingen erzählen.

Bei den Vorspeisen lockt etwa...

... ein klassisch glaciertes Kalbsbries zwischen braven Belanglosigkeiten. Auf der nächsten Seite tauchen plötzlich Gerichte auf, die einen endgültig aus der faulen Nachmittagsstimmung beuteln: Zwischen bissfest gebackenem Spaghettikürbis mit einer aus gehacktem Ei gerührten, ultraklassischen Schnittlauchsauce, den hervorragenden Grammelknödeln in dottergelbem Erdäpfelteig mit Speck-Krautsalat oder Steinpilzcarpaccio tummeln sich doch tatsächlich "Garnelen mit Kalbskopfsauce": knackige Meerestierchen in einem intensiven Tomaten-Kräutersaftl, das vom inwendigen Aroma des Kalbskopfes durchdrungen ist, wiewohl dieser nur in adretten Kleinstwürfeln in der Sauce schwimmt. Spätestens jetzt will man wissen, woher der junge Mann in der Küche derartig bodenständige Virtuosität gelernt hat.

Zuerst beim Sodoma und dann beim hoch dekorierten Göttfried in Grafenegg (nunmehr, wie berichtet, in Alkoven, OÖ), so die stolze Antwort der Frau Mama. Seit vier Monaten ist der Junior wieder daheim, nicht ganz freiwillig, aber nach einem bösen Ausrutscher des Vaters im Stall musste jemand von heute auf morgen die Küche übernehmen. Johann Böhm, der Senior, hat das Lokal mittels großer Grillabende im überdachten Innenhof und guter Wirtshausküche mit einer soliden Stammklientele ausgestattet. Die braucht jetzt wohl ein bisschen Zeit, um sich an den frischen Wind aus der Küche zu gewöhnen.

Deshalb wird ein Teil der Karte nach wie vor mit T-Bone-Steak, Backhendl, Bauernschmaus, frisch aus dem Kalter geholtem Saibling und anderen Ausflugsklassikern bevölkert, die samt und sonders in geschmalzener Qualität und zu butterweichen Preisen auf den Tisch kommen. Das passt bestens zum völlig zeitgeistfreien Ambiente des Wirtshauses, deshalb kann man sich nur wünschen, dass beim Böhm möglichst alles so bleibt, wie es offenbar immer schon war. Außer, dass jetzt der Junior kocht. Aber wie! (Severin Corti/Der Standard/rondo/04/11/2005)