Nach dem seit einiger Zeit zu beobachtenden Unfug, dass jeder glaubt, etwas zum Fußball zu sagen zu haben und darunter viele sind, die besser schwiegen, erscheinen nun wieder Bücher, die uns den Kick zurückgeben, wie er ist: Das Runde muss ins Eckige, und aus. Zwei davon heißen: Ein rundes Leben bzw. Beruf: Fußballfan, wurden von den Autorenpaaren Robert Franta/ Wolfgang Weisgram respektive Claus Farnberger/Gerald Simon verfasst und sind Labsal inmitten der erregten Quatschseligkeit, die im Vorfeld der Weltmeisterschaft in unserem notorisch quatschseligen Nachbarland rundherum ausgebrochen ist.

Dabei könnten die beiden Bücher in ihrem Ansatz nicht unterschiedlicher sein: Weisgram zeichnet in kongenialer Kooperation mit Robert Franta, dem penibelsten Quellenkundler der heimischen Fußballgeschichte, das Leben und Wirken von Hugo Meisl nach, der ja nicht nur als so genannter Teamchef des österreichischen Wunderteams zur Legende wurde, sondern dem Kick erst seine moderne Struktur gab und nebenher das wirtschaftliche Umfeld schuf, in dem heute weltweit sein milliardenschweres Geschäft abgewickelt wird. Farnberger und Simon dagegen schlagen ihre Flanken von der anderen, quasi anwenderorientierten Seite: Ihr Buch stellt die gottlob völlig unobjektive Untersuchung der Passion dar, die uns allen auferlegt ist und die, ihrer etymologischen Wahrheit verpflichtet, als Leidenschaft in erster Linie Leiden schafft.

Nur an diesem heute zugleich sehr nah und fern scheinenden Punkt, aus dem alles ballesterische Geschehen grundsätzlich entsteht, berühren sich die beiden Bücher, wenn auch sehr zart. Meisls Lebensliebe beschreibt Weisgram als eine schicksalsgegebene in jeder Hinsicht: Mit seiner Ankunft als Kind in der damals noch so vielschimmrig glänzenden k.u.k. Residenzstadt Wien beginnt für den böhmischen Juden Meisl eine Passion, die ihn nicht nur den Untergang der Monarchie überleben, sondern ihre beste, wenn auch historisch grandios gescheiterte kosmopolitische Grundidee wenigstens auf ein kleineres Spielfeld herüberretten lässt. Dieses "Wenigstens" wächst sich in Händen des begnadeten Organisators, Diplomaten und ersten Botschafters des europäischen Fußballs zu einem veritablen Lebenswerk aus. Wie es Meisl schaffte, dem Spleen einiger scheel beäugter Ballenthusiasten das professionelle Fundament eines grenzüberschreitenden Spielbetriebes einzuziehen, ist spannend genug zu lesen. Darüber hinaus vermitteln Weisgram/Franta aber auch die Kulturgeschichte einer Massenbewegung, deren Dynamik zum Leidwesen ihrer Pioniere, deren herausragendster Hugo Meisl ist, nicht auf die Fußballfelder Europas beschränkt bleiben wird.

Die Vernetzung - nichts trifft die Lebensgeschichte Meisls besser als dieses Wort - der privaten Schicksale der Fußballer jener Zeit, der großen Auswahlmannschaften des Kontinents mit den Plänen und Taten derer, die unbedingt auf dem größeren, pathetisch "Geschichte" genannten Feld auftreten mussten, ist das eigentliche Thema dieses Buches. Weisgram erzählt es mit der traurigen Endgültigkeit des Chronisten, der um den Ausgang des Spiels weiß, und im Licht dieses Wissen erscheinen die kleinen Heldentaten der Sindelars, Vogls, Bensemanns und vor allem Meisls endgültig richtiger und dauernder als die großen jener, die ihnen ein vorübergehendes Ende bereiten sollten. Es ist ein sentimentales Buch ohne jedes Sentiment - mit dem tröstlichen Ausblick, dass dafür kein Platz sein kann, solange der Ball rund ist und ein Spiel neunzig Minuten plus einige Zerquetschte dauert.

Farnberger und Simon spielen dagegen mindestens so schamlos wie virtuos auf dem Gefühlsklavier des Fußball-Aficionados - hier muss das spanische Wort für etwas verwendet werden, das mit "Anhänger" oder "Fan" höchst unvollständig bezeichnet ist. Denn natürlich ist Fußballfan nicht nur ein Beruf, wie die Autoren listig untertreiben, sondern viel mehr: Es ist Lebensinhalt und -anschauung, vor allem aber eine Lebensweise. Ihre Darstellung gelingt Farnberger/Simon nicht nur überzeugend, sie ist vor allem glänzend geschrieben und faktisch so lückenlos belegt - ob nun aus dem reichen persönlichen Erfahrungsschatz geschöpft oder den allzeit abrufbaren Archiven unnützen Wissens entnommen, die jeder Betroffene zum Ärger seiner Umwelt angesammelt hat - dass man nur mitleidig auf die herabblicken kann, denen diese Lebensweise fremd ist. Aber für diese werden, wie eingangs angedeutet, solche Bücher nicht verfasst.

Wir anderen aber, die wir schon einmal in das verzehrende Feuer der Leidenschaft geblickt haben, lassen uns grinsend das Wasser im Maul zusammenlaufen, wenn etwa Simon hinterfotzigst dem Damenfußball eine, sagen wir, Stange bricht oder sich Farnberger zur völlig sinn- und nutzlosen Verteidigung des Schiedsrichterwesens aufschwingt. Da läuten dann alle Freudenglocken in den Gotteshäusern der wirklich Gläubigen, und verloren bleibt, wem das nicht wie Musik in den Ohren klingt. Allein der Anhang, in dem ein kleiner Regel- und Begriffsalmanach sowie ein Personenregister geboten wird, treibt einem vor Spaß das Wasser in die Augen. Denn ja, auch das gibt es: ernsthafte Fußballbücher, die lustig sind. (Samo Kobenter - ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 5./6.11.2005)