Stimmabgabe in Baku unter dem Blick des Ex-KP-Chefs Geidar Lijew (Haydar Aliyev).

"Die Wahl ist vorbei, ihr könnt nach Hause gehen." In Surhanade-2, einem heruntergekommenen Neubauviertel am Ostrand Bakus, hat die Polizei entschieden, wann die Parlamentswahlen in Aserbaidschan zu Ende sind. Denn hier, im Wahlbüro einer Schule wie überall im Wahlkreis 31 von Surhanade, lag Ali Kerimli, der Parteichef der Volksfront und einer der drei Führer des Oppositionsbündnisses "Azadlyg" ("Freiheit"), offensichtlich uneinholbar vorne.

Prügel von der Polizei

Für Cavid Sadiqov endete der Wahlabend deshalb mit einer Tracht Prügel der Polizei. Sein Mantel ist voller Staub, das linke Auge geschwollen. So viel zumindest lässt sich auch noch im halbdunklen Schulhof erkennen. Durch das Gittertor erzählt er von der Stimmauszählung, die ganz normal begonnen habe, bis plötzlich die Polizei hereinstürmte und die Wahlkommission und deren Beobachter, darunter Sadiqov, aus dem Zimmer jagte.

Den Schuleingang hält die Polizei in dieser Sonntagnacht, mehr als drei Stunden nach Schliessung der Wahllokale immer noch versperrt. In der "278. Schule" und einem halben Dutzend anderer in Surhanade ist es nicht anders. Wahlkommissare stehen ratlos an den Fenstern und machen Zeichen, dass Männer mit Schulterklappen - Polizisten eben - in den Wahllokalen sind.

Dann geht mit einem Mal doch die Tür auf und ein Mann im Anzug stürmt heraus. "Die ganze Welt wird sehen, dass wir keine gerechten Wahlen in Aserbaidschan haben", ruft er. 220 Stimmen von 424 seien hier für Ali Kerimli, den Volksfront-Chef gezählt worden. Als das Ergebnis feststand, seien drei Polizisten gekommen und hätten die Wahlurnen mitgenommen, berichtet Kaukas Mammedow, der Mitglied der Wahlkommission ist.

Teilweise noch das Protokoll in Händen

In mindestens elf Wahllokalen in Surhanade-2 hat Kerimli nach Angaben von Wahlkommissionsmitgliedern oder deren Beobachter gewonnen. In einigen Schulen halten die Kommissionsmitglieder noch das Protokoll in den Händen, auf dem das Ergebnis für den Oppositionsführer und seinem Gegner von der regierenden Neuen Aserbaidschan-Partei (YAP), Garahanow, aufgelistet. Nur der Stempel fehlt.

Am Montag, so ist die Befürchtung, wird ein neues Stimmenprotokoll auftauchen, gestempelt und unterschrieben vom jeweiligen Vorsitzenden der Wahlkommission - und Kerimli ist um seinen Parlamentssitz gebracht.

Massive Verletzungen des Wahlgesetzes

In Bakus Innenstadt rebellierten noch in der Nacht fünf Mitglieder der zentralen Wahlkommission und sprachen von massiven Verletzungen des Wahlgesetzes im Land. Etwa ein Dutzend Sitze von insgesamt 125 im Parlament haben die "exit polls" für "Azadlyg", das grösste Oppositionsbündnis errechnet, das dem Revolutionsmodell der Ukraine folgend mit der Farbe Orange auftritt. Zwei Tage, bis Dienstagabend, wollte sich Kerimli Zeit zur Analyse des Wahlergebnis geben und dann entscheiden, ob er die Aserbaidschaner zum Protest aufrufen oder das Resultat akzeptieren will. Gibt es keine raschen Korrekturen, dürfte in Surhanade Sonntagnacht der Keim für eine weitere Revolution in einer früheren Sowjetrepublik gelegt worden sein. (Markus Bernath für derStandard.at)