Die konservative britische Zeitung "The Daily Telegraph": "Wir sehen das Scheitern des Vertrages zwischen dem Staat und der
größten Einwandererbevölkerung Europas. Dieser besagt einerseits,
dass die Einwanderer sich strikt an die Gesetze und Bräuche des
Landes anpassen müssen, ohne Ausnahmen für religiöse Gemeinschaften.
Im Gegenzug sollen sie die Vorzüge des Lebens in einer Republik
genießen können, die auf den revolutionären Idealen der Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit basiert. (...)
Doch der Staat hat sich nicht an die Abmachung gehalten. Die erste
Einwandergeneration kam in einer Zeit, als dringend ausländische
Arbeitskräfte gebraucht wurden. Die zweite und dritte Generation
fühlt sich ohne Arbeit in den Einwanderervierteln gefangen, die für
ihre Eltern und Großeltern gebaut wurden. Außerdem sind die
Arbeitslosen abhängig von Sozialhilfe. Diese beiden Faktoren rufen
ein Gefühl der Hilflosigkeit hervor, welches wiederum Hass gegen den
Staat erzeugt."
"Tages-Anzeiger" (Zürich): "Das Land wird von einer Zerstörungswut
sondergleichen erschüttert, und der Präsident spricht eilig ein paar
Worte in die Kameras. Man fasst sich an den Kopf. Frankreich ist in
einem erbärmlichen Zustand. Die öffentliche Ordnung ist dahin, das
republikanische Integrationsmodell ist erschöpft, und die Kassen sind
so leer, dass eine fantasievolle Sozialpolitik unfinanzierbar
erscheint. (...) Die Krawalle in den Vorstädten sind nur das jüngste
sichtbare Zeichen für einen Niedergang, an dem Jacques Chirac
maßgeblich beteiligt ist." Die konservative Pariser Tageszeitung "Le Figaro": "Frankreich
zahlt heute für seine Arroganz in der Vergangenheit. Sein berühmtes
Modell der Integration fällt in den Augen der Weltöffentlichkeit in
sich zusammen. In den Vorstädten zeigt sich das Versagen der Politik
der letzten 40 Jahre. Auch wenn man dies nicht Krieg nennt, so steckt
Frankreich tief im Morast seiner Widersprüche und Ungereimtheiten. Allzu oft wurden die Probleme der sozialen Randviertel mit
Demagogie statt mit Vernunft behandelt. Es wurden Notprogramme
verkündet, doch die Mittel dafür waren nie ausreichend. Es ist eine
Illusion zu glauben, dass einige technische Maßnahmen vielen
eingewanderten Franzosen Hoffnung auf eine bessere Zukunft geben
werden. Stattdessen sollte man die Verantwortung für die Rechte und
Pflichten aller stärken."
Die "Basler Zeitung": "Es ist kein Tsunami und kein Hurrikan, der
in diesen Tagen Frankreich verwüstet. Keine Naturkatastrophe richtet
diese Millionenschäden an. Alles ist durch menschliches Zutun
respektive Nichtstun verursacht. Trotzdem: Auch hier sind Dämme
gebrochen, auf die man blind vertraute. Solange sie noch zu halten
versprachen, investierte man lieber anderswo. Das rächt sich jetzt." Die römische Zeitung "La Repubblica": "Der Feuerschein, der die
französischen Nächte erhellt, zeigt uns die Grenzen der
Integrationsmodelle für die Einwanderer, die bisher in Europa galten.
Die Attentate von London und der Mord an Theo van Gogh haben eine
Krise des Multikulturalismus offenbart (...). Es reicht heute nicht
mehr, (einem Einwanderer) die Staatsbürgerschaft zu gewähren, wenn
dann die Rechte, die sich daraus ergeben, wegen der sozialen und
wirtschaftlichen Ungleichheit nicht ausgeübt werden können (...).
Anders als ihren Vätern (...) reicht es den Brandstiftern von Aulnay
und Clichy nicht, Franzosen zu sein; sie fordern Zugang zu jener Tür
zur Modernität, die ihnen fast immer verschlossen bleibt." Die französische Wirtschaftszeitung "La Tribune": "Man hat nicht darauf geachtet, dass seit mehreren Jahren viele
Vorstädte eine Organisation am Rande der Gesellschaft gefunden haben.
Es gibt dort rechtlose Zonen, die von lokalen Mafias beherrscht
werden. Diese nutzen die wehrlose Menschen und Einrichtungen aus, um
einen Schwarzmarkt zu entwickeln, der auf dem Drogenhandel, illegalen
Geschäften aller Art und der Schwarzarbeit beruht. Jetzt ist der
Dampfkessel explodiert. Für (Präsident) Jacques Chirac ist die Lage
nicht einfach. Auch die besten Lösungen für soziale Problemviertel
brauchen Zeit, um zu wirken. Und Wundermittel gibt es nicht."
Die liberale britische Zeitung "The Independent" (London) : "Es
gibt verschiedene Ursachen für diese Nächte der Zerstörung. Dem
harten, oft brutalen Vorgehen der Polizei in den Armenvierteln muss
einiges an Schuld zugeschrieben werden. (...) Wirtschaftliche Not ist
auch ein Grund. Die Gewalt konzentriert sich in Gegenden, wo die
Arbeitslosigkeit zwei Mal so hoch ist wie im Landesdurchschnitt. Eines ist sicher: Die Unruhestifter vergrößern nur das Leid ihrer
Gemeinschaften. Die Demonstrationen in den Pariser Vororten gegen die
Gewalt sind ein Zeichen, dass es so nicht ewig weitergehen wird. Die
Unruhen werden enden, aber die tiefen sozialen Gräben werden bleiben.
Auf jeden Fall so lange, bis Frankreich ernsthaft beginnt darüber
nachzudenken, wie man sie beseitigen kann."
Die spanische Zeitung "La Vanguardia" (Barcelona): "Der soziale
Flächenbrand in Frankreich ist eine chronische Krise, die das Land
seit Jahrzehnten mit sich herumschleppt. Die Ursachen sind längst
bekannt. Die Diagnose ist eindeutig, aber man weiß nicht, welche
Therapie anzuwenden ist. Das französische Modell der Integration ist
gescheitert. Anders als früher bei den Gastarbeitern aus Italien, Spanien und
Portugal ist es nicht gelungen, die Kinder der afrikanischen
Zuwanderer in die Gesellschaft einzugliedern. Aber auch das andere
Modell - das britische Modell einer multikulturellen Gesellschaft -
ist mit den Anschlägen von London buchstäblich in die Luft geflogen.
Welches Modell soll man nun anwenden?" (APA/dpa)