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Ein Polizist hält eine Schrotpatronenhülse hoch. In Grigny, im Süden von Paris, wurde die Polizei beschossen.

Foto: Reuters/Prevel
Die Gewalt dehnt sich über das Land aus: Den französischen Fernsehzuschauern präsentierten sich gestern erstmals Landkarten mit einem flächendeckenden Bild aller Unruheherde. Von Rennes in der westlichen Bretagne bis nach Straßburg und Mülhausen im Osten, von Perpignan im Süden bis Lille im Norden erstrecken sich die Meldungen brennender Autos und anderer Gewaltakte.

Erstes Todesopfer

Und die Gewaltakte nehmen immer schärfere Formen an. In Paris starb gestern ein 60-jähriger Mann, der Ende letzter Woche von einem Jugendlichen zusammengeschlagen worden war und seither im Koma lag. Laut der Zeitung Le Parisien war das Opfer beim Löschen eines mutwillig gelegten Hausbrandes in Stains (bei Paris) von einer Gruppe Randalierer angegriffen worden und erhielt einen Faustschlag, in dessen Folge er mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug.

Polizei beschossen

Andernorts kam es gestern wieder zu direkten Duellen zwischen Randalierern und der Polizei. In den letzten Tagen hatten sich die äußerst mobilen Jugendbanden den Sicherheitskräften nicht frontal gestellt, um der Verhaftung zu entgehen. Jetzt scheinen sie wieder zum direkten Angriff überzugehen. In der Nacht auf Montag wurden nun aber 36 Polizisten verletzt. Einige wurden aus Schrotflinten beschossen. In Colombes bei Paris wurde ein Kleinkind nach Steinwürfen auf einen Bus mit einer Kopfverletzung ins Krankenhaus eingeliefert.

400 Festnahmen

Insgesamt gingen in ganz Frankreich 1408 Autos in Flammen auf. Die Polizei nahm bis am frühen Morgen fast 400 Gewalttäter fest - mehr als in allen Vortagen. Die Zahl der Festgenommenen in den Trabantenstädten Frankreichs dürfte mittlerweile 2000 übersteigen. Betroffen sind neuerdings auch touristische Städte wie Avignon oder Nizza. Eine verstärkte Polizeipräsenz in allen Gemeinden sowie gelegentliches Sirenengeheul gehören derzeit aber überall in Frankreich zum Alltag. Am Wochenende war in der Pariser Banlieue ein Bus mit russischen Reisenden mit Steinen beworfen worden. Fremdenverkehrsminister Leon Bertrand erklärte dies mit "kleinen Gemütsschwankungen" der französischen Gesellschaft.

Fatwa gegen Gewalt

Eine der größten Muslimorganisationen Frankreichs verhängte Montag eine Fatwa (einen islamischen Rechtsspruch), in der sie die Unruhen verurteilte. Sie reagierte damit auf Spekulationen, militante Muslime hätten einen Teil der Krawalle organisiert. Die Polizeigewerkschaft CFTC erklärte: "Nichts scheint den Bürgerkrieg stoppen zu können, der sich jeden Tag im ganzen Land immer weiter ausbreitet." Sie forderte eine Ausgangssperre für die von den Unruhen betroffenen Gebiete und ein Einschalten der Armee. "Die Ereignisse, die wir jetzt erleben, sind seit Ende des Zweiten Weltkriegs ohne Beispiel."

Ähnlich argumentierten Politiker: Abgeordnete der bürgerlich-konservativen Regierungspartei UMP forderten am Montag ein Anti-Unruhen-Gesetz. Die Polizei müsse in derartigen Situationen ein erweitertes Recht zum Waffeneinsatz bekommen, verlangten die Parlamentarier Nicolas Dupont-Aignan und Georges Fenech. Gleichzeitig sollten nicht nur die Strafen für Körperverletzungen und Zerstörungen erhöht werden, sondern auch diejenigen vor Gericht gebracht werden können, "die sie provoziert, erleichtert oder gutgeheißen haben", hieß es.

MPF fordert Ausgangssperre

Der Rechtsaußen-Politiker und EU-Parlamentarier Philippe de Villiers, Präsident der nationalistischen Partei "Mouvement pour la France" (MPF), fordert unterdessen eine nächtliche Ausgangssperre in Städten mit mehr als 30.000 Einwohnern. Das Verbot soll ab 19 Uhr für alle Personen unter 20 Jahren gelten, schrieb der Oppositionspolitiker in einem offenen Brief an Premier Dominique de Villepin. (brä, red/DER STANDARD, Printausgabe, 8.11.2005)