Arbeitslose, perspektivlose junge Männer aus ethnischen Minderheiten zünden ihre eigenen Wohnviertel an. Die Autos, Geschäfte, Schulen, Kindergärten, kommunalen Einrichtungen. Das war vor Jahrzehnten in den USA, als die Ghettos von Los Angeles, Detroit und anderen Großstädten brannten. Nun ist es in Europa so weit.

In Frankreich ist eine "strukturelle Unterschicht" entstanden. Sie setzt sich mehrheitlich aus den Söhnen und Enkeln von Immigranten aus dem arabischen Nordafrika, in zweiter Linie aus dem frankophonen Westafrika und Westindien zusammen. Die jungen Leute sind zu 90 Prozent französische Staatsbürger, weil Frankreich - im Gegensatz zu Deutschland und Österreich - die Staatsbürgerschaft als Geburtsrecht behandelte.

In Frankreich läuft nun eine Intifada (arabisch für Aufstand) der Halbwüchsigen, andere europäische Länder mit großen Minderheiten wie Großbritannien, Deutschland, die Niederlande, Belgien, bis zu einem gewissen Grad auch Österreich, stehen potenziell vor demselben Problem (die Aussagen diverser Funktionäre - "bei uns kann das nicht passieren" - fallen unter die Rubrik "berühmte letzte Worte").

Die Benachteiligung der jungen Männer aus Nordafrika ist ein Faktum. Man sollte aber auch nicht auf eine Art Meta-Moral ausweichen und die Benachteiligung als Entschuldigung für alles gelten zu lassen ("Was bleibt ihnen denn übrig, als Kindergärten anzuzünden"). Das ist Rassismus der wohlmeinenden Art ("Sie können sich halt nicht anders helfen"). Benachteiligte Gruppen haben in der Demokratie die Chance, sich politisch zu organisieren.

Es gibt aber eine Wahrheit, die man in diesem Zusammenhang aussprechen muss: der Islam spielt im Hintergrund eine große Rolle, aber keine emanzipatorische. Im besten Fall ist der Islam der arabischen Einwanderer eine Möglichkeit, die eigene kulturelle Identität zu behaupten, in einer fremden Umwelt Schutz und Hilfe zu finden.

Aber das bedeutet auch, das eigene Lebenskonzept einer im Grunde totalitären Religion zu unterwerfen - und das ist ein Rezept für dauerhafte Rückständigkeit. Der Islam kann Halt und auch materielle Absicherung in einer feindseligen Umgebung bieten - nicht umsonst haben sich Schwarze in den USA dem radikalen Islam zugewandt; aber er ist kein Instrument, um in der modernen Gesellschaft den sozialen Aufstieg zu schaffen. Zu viele Denkverbote. Nach allen Berichten sind die Jugendlichen in den Banlieus noch nicht straff von Islamisten durchorganisiert. Aber an der endgültigen Etablierung einer Parallelgesellschaft, in der "die Franzosen" (die Bezeichnung der Immigranten französischer Staatsbürgerschaft für die Alteingesessenen) keinen Zutritt haben (sollen), wird gearbeitet.

Die Lehre aus der französischen Intifada muss sein, dass man die Entstehung solcher Parallelgesellschaften nicht zulassen darf. In Frankreich und anderswo wurde sie ja sogar gefördert durch die Errichtung von Plattenbau-Ghettos am Stadtrand (in den USA werden die inzwischen in die Luft gesprengt). Simple Maßnahmen wie die "Entzerrung" von Minderheiten-Wohnvierteln (wie sie auch in Wien still betrieben wird) sind der Beginn. Sanfter Assimilationsdruck, verbunden mit Förderung, ist ein Projekt auf Jahrzehnte. Aber man muss jetzt signalisieren, dass man es angehen will.

Die Geschichte Europas der letzten 150 Jahre ist auch eine der Assimilation. Sie wird es auch künftig sein. (DER STANDARD, Printausdgabe, 8.11.2005)