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Innenminister Sarkozy: "Die Politik der Regierung ist eine der Entschlossenheit, der Kaltblütigkeit und des Augenmaßes."

Foto: AP/Euler
Paris - Innenminister Nicolas Sarkozy erklärte, Frankreich habe keine andere Wahl, als das Notstandsgesetz von April 1955 in Kraft zu setzen. Dieser Erlass berechtigt die Behörden, Ausgangssperren zu erlassen, Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Befehl vorzunehmen oder Verdächtige festzuhalten. Es ist auf zwölf Tage befristet und muss, wenn die Maßnahmen weitergeführt werden soll, durch einen Parlamentsbeschluss abgesegnet werden.

Unter dem Notstandsrecht tat dies bisher nur die nordfranzösische Stadt Amiens, in der Jugendliche unter 16 Jahren ab Mitternacht nicht mehr ohne Begleitung auf die Straße durften. Andere Städte wie Orleans setzten zwar auch Ausgangssperren für Minderjährige in Kraft, die allerdings auf normalem Recht basierten.

Liste der Städte

In der Nacht veröffentlichte die Regierung die Liste mit den Gebieten, in denen der Ausnahmezustand nach dem Notstandsrecht von den Präfekten verhängt werden kann. Sie umfassen 25 Departements ganz oder zum Teil, darunter auch die Regierungsbezirke in der Hauptstadtregion, wo die Unruhen vor knapp zwei Wochen begonnen hatten. Verstöße gegen Ausgangssperren können mit Gefängnisstrafe von zwei Monaten und/oder einer Geldstrafe von 3750 Euro belegt werden. Gleichzeitig sind Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss bei Verdacht auf Waffenbesitz möglich.

Krawalle verloren an Intensität

Mit diesem Vorgehen reagiert die Regierung auf die anhaltende Gewalt in zahllosen Vorstädten Frankreichs. Nach Polizeiangaben verloren die Krawalle in der Nacht zum Dienstag leicht an Intensität, nachdem in der Vornacht ein vorläufiger Höhepunkt der Unruhen erreicht worden war.

"Entschlossenheit, Kaltblütigkeit und Augenmaß"

Die Regierung gehe mit "Entschlossenheit, Kaltblütigkeit und Augenmaß" vor, meinte Sarkozy; mit diesem Erlass könne die Polizei nun auch "präventiv" handeln. Insgesamt sind 9500 Sicherheitskräfte im Einsatz, nachdem Premier Dominique de Villepin am Vortag eine neuerliche Verstärkung der Bestände um 1500 Polizisten angekündigt hatte. Die Aufbietung von Streitkräften lehnte er ab.

Großeinsätze

Einzelne Städte haben bereits Ausgangssperren verhängt. In Orleans dürfen Jugendliche unter 16 Jahren zwischen 21 und 6 Uhr nicht mehr auf die Straße. Auch einzelne Banlieues rund um Paris wie etwa Le Raincy haben solche Ausgehverbote erlassen. Die Krawalle hatten sich aber schon am Vortag vor allem in Provinzstädte wie Toulouse verlagert, nachdem die Polizei im Norden von Paris Großeinsätze gefahren hatte.

Ob es psychologisch geschickt war, genau diesen Erlass einzusetzen, um den Revolten der vorwiegend Maghreb-stämmigen Jugend Einhalt zu gebieten, muss sich weisen. Für die Ausgangssperren wäre die Aktivierung dieses Gesetzes jedenfalls nicht nötig gewesen: Ein Gesetz aus dem Jahre 2001 ermöglicht es Bürgermeistern bereits, Ausgehverbote für Minderjährige zu erlassen. Das Algerien-Gesetz geht darüber hinaus: Nicht nur Bürgermeister, sondern Präfekten können solche Sperren oder eben auch Hausdurchsuchungen über ein ganzes Departement verhängen ? wie etwa Seine-Saint- Denis im Norden von Paris, wo die Unruhen begannen. (red, brä/DER STANDARD, Printausgabe, 9. 11.2005)