In der Außenpolitik hat die künftige Koalition in Deutschland eine wichtige Weichenstellung vorgenommen, die auf EU- Ebene gravierende Auswirkungen haben wird. In der Frage, wie künftig mit den EU-Ambitionen der Türkei umgegangen werden soll, haben sich klar die Unionsparteien CDU/CSU gegenüber der SPD durchgesetzt. Die Türkei muss sich nun darauf einstellen, dass sie mit dem Abgang von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) auch die Unterstützung Deutschlands auf EU-Ebene verloren hat. Denn sehr viel drastischer hätte auch ein Bündnis aus CDU/CSU und FDP die Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei nicht formulieren können.

Umgekehrt hat die österreichische Regierung einen Mitstreiter gewonnen, der Wien zur Durchsetzung seines restriktiven Standpunktes in der Türkeifrage bisher gefehlt hat. Die neue deutsche Regierung wird im Wesentlichen nun das vertreten, was auch die Position der Wiener Koalition ist: So wird künftig betont, der Ausgang der EU-Beitrittsverhandlungen sei offen und auch die EU müsse aufnahmefähig sein. Die künftigen Koalitionäre gehen aber noch weiter: Da sie sich sogar bemüßigt sahen, sich auf einen Terminus zu einigen, was der Türkei im Falle eines Scheiterns angeboten werden soll, rechnen sie eigentlich schon damit. Auf EU-Ebene muss man sich auf den neuen Begriff eines "privilegierten Verhältnisses" statt der bisher von der CDU/CSU forcierten privilegierten Partnerschaft einstellen. Was das sein soll, bleibt weiter offen. Verhältnis klingt noch vager als Partnerschaft und auf keinen Fall nach Liebesbeziehung.

Die zweifellos anderen politischen Verhältnisse in Deutschland zwingen die Türkei jedoch dazu, sich noch mehr anzustrengen, falls man den Beitrittsgegnern keinen Vorwand bieten will. Anlass, die Bemühungen zu verstärken, bietet auch der EU-Fortschrittsbericht, der der Türkei noch gewaltige Defizite im Bereich Demokratie attestiert. (DER STANDARD, Print, 9.11.2005)