"Die Welt wird nicht wegen einer kranken Gallenblase untergehen", erklärt Jared Diamond seinen Karrierewandel vom Mediziner und Gallenspezialisten zum Professor für Geografie an der University of California. Dazwischen war er Vogelkundler und Ethnologe. Seit zwölf Jahren ist er Leitungsmitglied der US-Sektion des WWF. Seinen Vortrag am Montagabend in der Nationalbibliothek in Wien hielt er auf Deutsch, einer von zwölf Sprachen, die er spricht.

Der 1938 in Boston geborene Diamond sieht sich auch als Umwelthistoriker. Er empfiehlt den "Blick in die Vergangenheit, um für die Herausforderungen der Gegenwart gewappnet zu sein." Bereits in seinem letzten Buch Arm und Reich (englisch: Guns, Germs and Steel) beschäftigte er sich mit dem Schicksal menschlicher Gesellschaften. Im Jahr 1998 erhielt er dafür den Pulitzerpreis, es wurde rund zwei Millionen Mal verkauft.

Die Kernthese seines neuen Werks, Kollaps, fasst er so zusammen: "Gesellschaften gehen durch ökologische Krisen unter, die sie selbst verursachen." Dafür seien fünf Faktoren maßgeblich: Umweltschäden, Klimaveränderungen, feindliche Nachbarn, der Verlust freundlicher Handelspartner und die Unfähigkeit einer Gesellschaft, mit ihren Problemen umzugehen. Die ersten vier Faktoren können für den Untergang einer Gesellschaft entscheidend sein, der letzte ist es immer.

Naturkatastrophen

Die Naturkatastrophen der jüngsten Zeit sind für Diamond Vorboten dessen, was uns bevorstehen könnte. Selbstverständlich gebe es auch natürliche Klimaschwankungen, Erdbeben, Faktoren, die wir Menschen nicht oder wenig beeinflussen können. Aber wir sollten versuchen, die Anfälligkeit dafür zu mindern und dort etwas tun, wo wir Einfluss nehmen können: "Selbst wenn die Ursachen natürlich sein sollten, heißt das ja nicht, dass man sich damit abfinden muss." Auch früher hatten Gesellschaften mit Klimaschwankungen zu tun, doch oft genug zerstörten sie ihren Lebensraum durch Waldrodung und Ressourcenverschwendung selbst.

Vor etwa 1000 Jahren besiedelten Wikinger die Fjorde Grönlands. Ein halbes Jahrtausend lang betrieben sie dort erfolgreich Landwirtschaft. Dann brachte eine kleine Eiszeit den Ruin ihrer Wirtschaft, Hungersnöte, Chaos, Mord und Totschlag. Demgegenüber konnten die Inuit mit vergleichbaren Umständen sehr wohl zurechtkommen. Sie aßen Fisch, der bei den Wikingern Tabu war, bauten Iglus aus Schnee, um Holz zu sparen, und heizten mit Waltran. Doch statt von der Jägerkultur der Inuit zu lernen, gingen die Wikinger mitsamt ihrem Überlegenheitsgefühl unter.

Um ihre Großstatuen zu errichten, entwaldeten die Polynesier die Osterinseln und besiegelten damit ihr Schicksal: Es konnten keine Boote für den Fischfang mehr gebaut werden, der Boden erodierte. Die Gesellschaft versank in Kannibalismus und Chaos. "Was sie sich wohl gedacht haben, als sie den letzten Baum fällten?", fragt sich Diamond und warnt: "Die abgelegenen Osterinseln sind eine Metapher für den Planeten Erde."

Doch er versteht sich nicht als Prophet der Umwelt-Apokalypse, sondern als vorsichtig optimistisch: "Ich sage ja nicht, dass die Welt untergeht. Ich spreche im Buch von zwei Pferden, die in zwei Richtungen an der Welt ziehen: Zerstörung und Bewahrung."

Keine Abschottung

"Die Grundwerte müssen auf den Prüfstand. Europa hat das nach dem Zweiten Weltkrieg in vorbildlicher Weise getan", meint Diamond. Zu diesen Werten gehöre auch die Konsumkultur. Auch wenn sich verheerende Konsequenzen abzeichnen: Man könne aufstrebende Länder wie China nicht von dem Lebensstandard ausschließen, den wir ihnen modellhaft vorleben. Technische Lösungen, wie der Einsatz erneuerbarer Energien, könnten zur Versöhnung zwischen Konsumwunsch und Umweltverträglichkeit beitragen. Doch fatal sei eine Haltung wie "Keine Angst, die Technik wird schon Lösungen finden . . .".

Natürlich sind diese Überlebensfragen politisch: Die Gesellschaft der Maya brach wegen Hungersnöten nach Entwaldung, Bewässerungsproblemen und Kriegen zusammen. Doch die Könige kümmerten sich nicht darum und führten weiter Krieg. "Sie konnten gut essen, während das Volk hungerte", sagt Diamond. "Auch bei uns ziehen sich die Eliten und die Reichen in Gettos zurück, ,gated communities', mit eigenen Sicherheitskräften und eigener Infrastruktur. Das ist gefährlich. Wir können uns in Zeiten der Globalisierung nicht hinter Zäunen verstecken und uns von den Problemen des Planeten abschotten."

Von den Eliten verlangt er eine offensive Suche nach langfristigen Lösungen und ein Denken über die Legislaturperiode und den eigenen Tellerrand hinaus: "Europa und die USA benehmen sich, als ob wir uns von den Problemen der übrigen Welt abschotten könnten. Aber das funktioniert nicht. Denken Sie nur an die Migration und die aktuellen Krawalle in Frankreich."

Wenn es politisch wird, ist der Geograf zurückhaltend. Die Frage, ob man von indigenen Völkern mit ihren mehr auf Konsens, Gemeinschaft, Solidarwirtschaft und Respekt vor der Natur abgestellten Kulturen nicht nachhaltigeres Wirtschaften lernen könne, möchte er nicht eindeutig bejahen. Doch im Falle einer hypothetischen Weltkatastrophe zöge es ihn ins Hochland Neuguineas, wo die Menschen bis vor 50 Jahren nur untereinander Handel getrieben haben und autark waren: "Die wissen noch, wie man mit den Händen eine Steinaxt macht." (Robert Lessmann, DER STANDARD, PRINT, 9.11.2005)