Berlin - Die fünf Wirtschaftsweisen haben der künftigen deutschen Bundesregierung ein umfassendes Reformprogramm vorgelegt und vor einer Erhöhung der Mehrwertsteuer zur Haushaltssanierung gewarnt.

Der Sachverständigenrat schlug am Mittwoch in seinem Jahresgutachten unter anderem eine deutliche Senkung der Unternehmensteuern, eine Lockerung des Kündigungsschutzes und eine Bürgerpauschale zur Finanzierung der Krankenversicherung vor. Die Beschlüsse des Jobgipfels zur Erbschaft- und Körperschaftsteuer lehnte das Expertengremium dagegen ab.

"Sehr diskussionswürdig"

Der scheidende Wirtschaftsminister Wolfgang Clement nannte das Gutachten "sehr diskussionswürdig". Der Warnung vor einer kurzfristigen Erhöhung der Mehrwertsteuer schloss er sich an. Eine solche Konsolidierungsmaßnahme passe "zumindest nicht für 2006 in die konjunkturelle Landschaft", erklärte er.

Der Wirtschaftsminister nahm den mehr 500 Seiten starken Bericht mit dem Titel "Die Chance nutzen - Reformen mutig voranbringen" anstelle von Bundeskanzler Gerhard Schröder entgegen, der sich wegen der Koalitionsverhandlungen entschuldigen ließ.

Die Sachverständigen rechnen in diesem Jahr wie die Bundesregierung mit einem Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent. Für 2006 sind sie mit einer Prognose von 1,0 Prozent Wachstum etwas skeptischer als die Regierung, die 1,2 Prozent erwartet.

Defizit weiter über Maastricht-Grenze

2005 und 2006 sehen die Experten das Haushaltsdefizit mit 3,5 und 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weiterhin über der Drei-Prozent-Grenze des Euro-Stabilitätspakts. Die Arbeitslosenzahl wird dem Gutachten zufolge auch im kommenden Jahr kaum sinken: Erwartet wird ein Rückgang um knapp 90.000 auf durchschnittlich 4,8 Millionen.

Der Rat rät "dringend" davon ab, die Mehrwertsteuer im kommenden Jahr zu erhöhen, allein um die Staatsfinanzen zu sanieren. Dies sei auch durch den Abbau von Finanzhilfen und Steuervergünstigungen möglich. Die Experten schlagen unter anderem eine Abschaffung oder Reduzierung der Eigenheimzulage, der Steuerfreiheit von Sonn- und Feiertags- und Nachtzuschlägen, des Sparerfreibetrags und der Pendlerpauschale vor.

Mehrwertsteuererhöhung

Eine Mehrwertsteuererhöhung halten die Wirtschaftsweisen allerdings für die Finanzierung wachstumsfördernder Maßnahmen im Steuersystem oder bei der Sozialversicherung für erforderlich. Der Sachverständigenrat schlägt unter dem Stichwort "Duale Einkommensteuer" vor, die Steuersätze auf Unternehmensgewinne auf 25 Prozent zu senken.

Bei einer Reform der Sozialversicherungen sollten alle versicherungsfremden Leistungen ausgekoppelt und aus Steuern bezahlt werden. Das Finanzierungsvolumen beträgt nach Schätzung des Sachverständigenrats 65 Mrd. Euro.

Clement sagte, die Vorschläge sollten noch in die Koalitionsverhandlungen einfließen. Die Arbeitgeber begrüßten die Reformvorschläge und die Warnung vor einer Mehrwertsteuererhöhung zum Stopfen von Haushaltslöchern. Zur Senkung der Sozialversicherungsbeiträge sei ein solcher Schritt allerdings sinnvoll und erforderlich, erklärte Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt.

Handwerkspräsident Otto Kenzler bezeichnete eine Mehrwertsteuererhöhung als Gift für die Binnenkonjunktur. "Das Gutachten kommt noch rechtzeitig zur Schlussphase der Koalitionsverhandlungen und sollte von der Politik sehr ernst genommen werden", erklärte er. (APA/AP)