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"Mir reicht's! Ich kehre nach Frankreich zurück", sagte die Freiheits- statue und machte sich auf den Weg: Das angespannte Verhältnis zwischen Frankreich und den USA - hier auf einem Archivbild aus dem Jahr 2003 von einer Pariser Friedensdemonstrantin dokumentiert - wird in den Medien während der Jugendunruhen erneut strapaziert.

Foto: Reuters
Die beiden großen Fernsehstationen TF1 und France-2, die sich jeden Abend ein erbittertes Duell liefern, sind sich für einmal einig: Ihre Programmdirektoren meinen unisono, sie befolgten eine Informationspolitik der "pédale douce", das heißt, sie wollten in der Berichterstattung über die Krawalle nur "sanft" auf die Pedale treten, um die Banlieue-Jugend durch Bilder vom Flammeninferno nicht zusätzlich aufzureizen. Als Folge sehen die französischen TV-Zuschauer in den 20-Uhr-Nachrichten fast keine brennenden Autos oder Gebäude mehr.

Vielmehr bringen TF1, France-2 oder France-3 immer mehr Berichte von Krawall-Opfern - zweifellos, um den Randalierern vor Augen zu führen, dass sie mit ihren Brandstiftungen ihre eigenen, meist ebenfalls maghrebinischen Nachbarn treffen.

Auch Le Monde sprach ab und zu nur von "heurts" (Zusammenstößen), und verwendete den Begriff "émeutes" (Unruhen) erst, als das bisher unbekannte Ausmaß der Krawalle nicht mehr wegzureden war. Der Grund für die Zurückhaltung der französischen Medien ist zweifellos nicht nur pädagogischer Natur. Die Franzosen sind Banlieue-Unruhen seit Jahren gewöhnt; sie wissen um die Problematik, verdrängen sie aber gerne.

Dazu kommt diesmal eine gute Portion Verlegenheit: Mit einiger Verblüffung, aber auch beträchtlicher Zerknirschtheit registrieren sie, wie ausführlich die nicht-französischen Medien über die Ausschreitungen berichten. Und zum Teil selber übertreiben. Ein vor Ort geschickter Journalist von CNN verglich die Situation in Frankreich vergangene Woche mit Tschetschenien und malte das Schreckgespenst eines "Bürgerkrieges" an die Wand.

Auch andere US-amerikanische Medien wie Time oder ABC wählten die Schlagzeile "Paris brennt", obwohl über der französischen Hauptstadt - im Unterschied zu einzelnen Vororten - nie Rauchschwaden hingen.

"Kriegszone"

Dessen ungeachtet berichteten konservative US-Medien wie die Washington Times, die das französische Abseitsstehen im Irakkrieg hart kritisiert hatten, Paris sei eine "Kriegszone". Die ähnlich gelagerten Murdoch-Medien stellen anderweitige Vergleiche her: Die Banlieue-Krawalle seien für Frankreich "der Katrina- Hurrikan des sozialen Desasters".

USA Today stellte eine etwas nüchternere Parallele zwischen dem Hurrikan und den Unruhen her: "Die Franzosen waren schnell dabei, nach dem Hurrikan Katrina mit dem Finger auf die Probleme der Armut, Ungleichheit und Inkompetenz der amerikanischen Behörden zu zeigen, aber jetzt finden sie sich mit genau den gleichen Schwierigkeiten in ihrem eigenen Land konfrontiert."

Die Pariser Zeitung La Croix meint dazu, die USA empfänden Frankreich eben seit jeher als arrogant und hätten die Pariser Position im Irakkrieg "immer noch nicht verziehen".

Auch die Londoner Times räumt ein, dass die Unruhen in den angelsächsischen Ländern ein Gefühl des "Sarkasmus", ja gar des "Frohlockens" hervorgerufen hätten. Das sei aber verfehlt, da die zeitgenössischen sozialen und Integrations-Probleme des Westens nicht an Landesgrenzen Halt machten. (Stefan Brändle aus Paris/DER STANDARD; Printausgabe, 10.11.2005)