"Must I Paint You a Picture? The Essential Billy Bragg" (Cooking Vinyl /Indigo)

Foto: Cooking Vinyl /Indigo

Bis heute vermuten wir, Billy Bragg, die linksradikale Stimme der englischen Arbeiter, Liebling aller Intellektuellen, wolle die Welt verändern wie Karl Marx oder Joseph Stalin einst oder wenigstens wie Fidel Castro. Doch 1983, auf Braggs erster Platte, erschien dieses Lied mit den Titel A New England: Bravo, denken viele bis heute, da nannte einer die Probleme beim Namen, ein "new England" konnte England ja wirklich gebrauchen in den frühen Achtzigern, aber dann ist da dieser Refrain, hören wir einmal hin: "I don't want to change the world" - ja klar, geht ja gar nicht so auf Anhieb, Bragg ist Realist, einmal weiterhören: "I'm not looking for a new England" - ach, nicht?

Dann kommt jetzt sicher das große, das billybragghafte "Aber", weiter also: "I'm just looking for another girl!" Der Typ will nur eine neue Freundin? Mit diesem Geständnis benennt Bragg ein Problem, dessentwegen uns die Weltverbesserer immer wieder enttäuschen: Das Profane liegt uns näher als das Ideelle, die eigenen Probleme mit Frau, Chef und Wohnungseinrichtung quälen uns nachhaltiger als jene mit Erderwärmung und New Orleans.

Erst wenn die vulgären lebenserhaltenden Bedürfnisse erfüllt sind, kommt das Land oder die Welt dran. Ausnahme: Das "Looking for another girl" ist ein von vornherein aussichtsloses Unterfangen. Dann kommt sofort die Welt dran. Das sind die Typen, die wirklich die Welt verändern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.11.2005)