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Fossile Reste steinzeitlicher Bauern in Deutschland: Nur ihre Lebensweise, nicht aber ihr Genpool habe sich durchgesetzt: Europäer stammten von originären Nomaden ab.

Foto: APA/dpa/Waltraud Grubitzsch
Washington - Der moderne Europäer stammt laut einer neuen Studie nicht von eingewanderten sesshaften Bauern ab, sondern von früheren Jägern und Sammlern, die schon vor 40.000 Jahren auf dem Kontinent lebten. Zu diesem Schluss kommen Anthropologen um Wolfgang Haak (Main) und Peter Forster (Cambridge), die über die Mutter vererbte mitochondriale DNA von Bauern analysierten, die mehrere tausend Jahre nach den Nomaden in Europa lebten, schreibt Science.

Eine der großen Errungenschaften der Menschheit ist die Entdeckung von Ackerbau und Viehzucht und damit einhergehend die Sesshaftigkeit. Doch wie und durch wen wurde diese Entwicklung eingeleitet? Für die Anfänge der Jungsteinzeit in Europa gab es bis heute drei mögliche Theorien. Erstens: Die ursprünglichen Jäger und Sammler wurden von sesshaften Neuankömmlingen vollständig verdrängt. Zweitens: Neuankömmlinge und Nomaden vermischten sich. Drittens: Nur die mitgebrachte Idee der Viehzucht und Sesshaftigkeit setzte sich erfolgreich durch, ohne dass sich die Bevölkerung genetisch änderte.

Genetische Linien

Bisher fanden Wissenschafter in Europa mehrere genetische Linien, darunter die "HV" genannte Hauptlinie, die sich nach der Eiszeit aus dem Süden kommend in Europa durchgesetzt haben. Dabei scheinen die heutigen Basken der Urbevölkerung Europas am ähnlichsten. Aber auch die übrigen Europäer stammen bis zu 70 Prozent von den Urbasken, den Vaskonen ab. Weitere genetische Linien heißen "T" und "J", die sich jedoch in geringerem Ausmaß und erst viel später mit den ersten Ackerbauern in Europa durchgesetzt haben. Darauf gründete die dritte der oben genannten Theorien - die die Forscher nun untermauern.

Von 57 Knochenfunden gelang es ihnen in 24 Fällen, die DNA zu analysieren. Die Proben wurden von den Genetikern gezielt ausgesucht: Da sie sich die Frage stellten, welchen genetischen Linien die frühesten Ackerbauern des Neolithikums angehörten, nahmen sie Proben aus der Zeit der Linearbandkeramik aus Deutschland und ihrer ungarischen Variante. Die Kultur der Linearbandkeramik ist eng mit den ersten Trägern der Landwirtschaft verbunden.

Linie "N1a"

Wenn auch kein "Gen der Landwirtschaft" gefunden wurde, so doch eine genetische Linie, nämlich "N1a", die bei den Trägern dieser beiden Keramikkulturen sehr stark vertreten ist, und zwar bei sechs der 24 Proben aus Deutschland und Ungarn, die zwischen 7500 und 7000 Jahre alt sind. Weitere sechs Proben gehören den genetischen Linien der vermuteten frühen Ackerbauern "T" und "J" an, die übrigen ließen sich alteuropäischen Linien zuordnen, die bereits während der Eiszeit in Europa waren, so auch eine Probe aus Österreich.

Die Forscher erstaunte die Tatsache, dass die Linie "N1a" inzwischen weltweit extrem selten geworden ist. Sie findet sich heute nur noch zu 0,2 Prozent im Erbgut. Daraus folgern die Genetiker, dass die originären europäischen Jäger- und Sammlerpopulationen die neue Lebensweise des Ackerbaus und der Viehzucht rasch übernahmen, sich die später eingewanderten Populationen der Bauern schnell ausdünnten, sie im europäischen Genpool untergingen.

Indoeuropäer

Und was die Sprache der ersten Bauern betrifft, so sieht Archäologe Colin Renfrew in ihnen die Indoeuropäer. Sie mochten mit ihrer neuen Lebensweise die nomadisierenden Jäger und Sammler so sehr beeindruckt haben, dass diese auch die Sprache übernahmen. Europa besteht heute fast flächendeckend aus Sprechern der indoeuropäischen Sprachfamilien. Nur das Baskische, Finnische, Ungarische und Estnische sind außerhalb dieser Sprachfamilie, wobei die Urform des Baskischen (Vaskonisch) laut Sprachwissenschafter Theo Vennemann die Ursprache Europas gewesen sein könnte. Die übrigen Sprachen gehören der Finnougrischen Sprachfamilie an, deren Ursprung im Ural vermutet wird. (fei, hamel, DER STANDARD, Print, 11.11.2005)