Grünen-Chef Alexander van der Bellen hält sich für einen normalen pragmatischen Politiker mit Grundsätzen.

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Grünen-Chef Alexander Van der Bellen will sich "programmatisch nicht verzetteln" und seine Partei am liebsten in einer Regierungsbeteiligung führen - was nicht heiße, dass die Grünen "regierungsgeil" seien. SPÖ oder ÖVP, das müsse offen bleiben, sagt er zu Michael Völker.

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STANDARD: Sind Sie ein Realo oder ein Fundi?

Van der Bellen: Ich halte mich für einen ganz normalen pragmatischen Politiker. Aber mit Grundsätzen. Es ist ja kein Zufall, dass wir diese Konfrontation mit der Strache-FPÖ und mit Herrn Strache persönlich haben. Diese Einteilung von Wienern in zwei Klassen, in die echten Wiener und die anderen, halte ich für unerträglich. Ich zähle mich jetzt zu den anderen Wienern. Da hört sich der Pragmatismus auf.

STANDARD: Bei den Grünen scheint es Grabenkämpfe zwischen den Realos und den Fundis zu geben. Zwischen den Linken in Wien und der eher bürgerlichen Fraktion im Bund und in den anderen Ländern.

Van der Bellen: Ich sehe das nicht so. Sie spielen offenbar auf die Diskussion über Schwarz-Grün versus Rot- Grün an. Das wird tendenziell in Wien anders gesehen als westlich von Purkersdorf. Ansonsten gibt es Pragmatiker in Wien und anderswo. Auch die Wiener Landesgruppe hat die so genannte Machtfrage längst entschieden, die Frage, ob die grüne Partei ein Diskutierklub ist, in dem über richtige, aber politisch undurchführbare Positionen gestritten wird, oder ob wir eine politische Partei sind, die versucht, im Rahmen des Möglichen grüne Programmatik umzusetzen.

STANDARD: Peter Pilz hat sich in seinem Tagebuch gegen die Wiener Linie ausgesprochen, also gegen die kategorische Ablehnung von Schwarz-Grün. Er fragt, warum sich die Grünen ein zweites Mal an die SPÖ ketten sollen.

Van der Bellen: So ist es. Ich habe kein Hehl aus meiner Meinung gemacht, dass das Ziel der Grünen und mein persönliches Ziel ist, möglichst viel von grüner Programmatik umzusetzen. Sei es gestärkt in der Opposition, sei es gestärkt in einer Regierungskoalition. Aber mit Sicherheit werde ich mich weder der SPÖ, geschweige denn der ÖVP vor der Wahl durch so eine Lagerbildung an die Brust werfen.

STANDARD: Mit beiden Parteien wäre eine Zusammenarbeit denkbar?

Van der Bellen: Ich gebe als gebranntes Kind auf diese Frage schon überhaupt keine Antwort mehr. Weil dann irgendwer behauptet, die Grünen seien regierungsgeil. Eine politische Partei muss dafür kämpfen, von ihrer Programmatik möglichst viel umzusetzen. Wir werden sehen, wie das möglich ist, und zwar am Montag nach der Wahl.

STANDARD: Im Nationalratswahlkampf geht es darum, wer vorne sein wird, Schüssel oder Gusenbauer. Wie wollen sich da die Grünen positionieren, um nicht zerrieben zu werden?

Van der Bellen: Es wird diesen Kampf geben, ebenso sicher ist, dass keiner der beiden die absolute Mehrheit kriegen wird, der Dritte bleibt also im Spiel. Für uns heißt das, sich programmatisch nicht zu verzetteln, sondern uns auf jene Punkte zu konzentrieren, die wir für das grüne Profil bis zur Wahl für besonders zentral halten. Armutsbekämpfung, Umwelt- und Klimaschutz, das Bildungsdebakel oder die Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt. Für den Kleineren ist es sicher schwierig, wenn sich zwei um den ersten Platz streiten. Wenn ÖVP und SPÖ glauben, sie müssen nach der Wahl eine große Koalition eingehen, wird uns das freuen, das gibt enormes Futter für eine erfahrene Oppositionspartei wie die Grünen. Unser Ziel ist das aber nicht. Natürlich ist es in der Regel leichter, sein Programm in einer Regierungskonstellation umzusetzen als in der Opposition.

STANDARD: Was ist in Wien falsch gelaufen? Das Wahlziel wurde deutlich verfehlt.

Van der Bellen: Ich finde schlicht, dass die Erwartungssteuerung nicht geklappt hat. Das Match mit der ÖVP war interessant und spannend, und es war richtig, das so zu machen. Falsch war, den Eindruck zu erwecken, dass das das Wahlziel schlechthin ist. Tatsächlich hat keiner von uns geglaubt, dass die Umfragewerte von 20 Prozent im Bereich des Realen sind.

STANDARD: Warum kam die FPÖ auf 15 Prozent?

Van der Bellen: Es ist eine zweischneidige Geschichte, ich finde den Wahlkampf von Strache unerträglich. Aber 1996 war das Verhältnis 28 zu 8 Prozent zugunsten der FPÖ, 2001 war das Verhältnis 20 zu 12, und 2005 ist das Verhältnis 14,9 zu 14,7. An Mandaten haben wir die FPÖ überholt. Wenn man das im längerfristigen Vergleich anschaut, bin ich eigentlich optimistisch. Es ist Strache nicht gelungen, 20, geschweige denn 28 Prozent zu bekommen. Aber es ist schlimm genug, dass er mit einem einzigen, geradezu menschenfeindlichen Thema 15 Prozent macht.

STANDARD: Sind 15 Prozent der Wiener fremdenfeindlich? Warum ist es den anderen Parteien nicht gelungen, dem etwas entgegenzuhalten?

Van der Bellen: Richtig ist, dass wir das während des Wahlkampfes intern besprochen haben, wie auf den Strache- Wahlkampf zu reagieren sei. Die Mehrheitsmeinung war, man würde ihn noch höher bewerten, wenn man offensiv darauf einginge. Im Nachhinein ist man oft gescheiter. Es wäre besser gewesen, das offensiver aufzugreifen. Sonst ist es schwer, und das mache ich Strache zum Vorwurf: Wenn man zuerst das Klima aufheizt und einen gegen den anderen ausspielt, die Mehrheit gegen die Minderheit, dann ist es fast unmöglich, in so einem Klima über tatsächliche Fragen zu reden.

STANDARD: Haben die Grünen ein Nachwuchsproblem? Für die Nationalratswahl treten an wählbaren Plätzen wieder nur altbekannte Gesichter an.

Van der Bellen: In der Regel haben die, die im Landtag oder im Nationalrat sind, einen Startvorteil gegenüber Newcomern. Ich glaube, dass wir uns es nach diesen Wahlen den Kopf zerbrechen werden, wie wir es Newcomern leichter machen können.

STANDARD: Haben Sie schon ausgelernt?

Van der Bellen: Nein, eben. Jetzt bin ich elf Jahre in der Politik, und ich habe nach wie vor bei bestimmten Dingen das Gefühl, das sollte man sich jetzt merken, handwerkliche Fehler bei einem selbst oder bei anderen.

STANDARD: War Ihre Ansage, dass ein Rücktritt vom Abfangjäger-Kauf und die Abschaffung der Studiengebühren keine Bedingung der Grünen sein muss, ein Fehler?

Van der Bellen: Sicher. (DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2005)