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Illustration: STANDARD/Archiv
Wien - "Christlicher Sokrates von Kopenhagen" nannten ihn die Dänen: Søren Kierkegaards Verachtung galt der zum Schein anständigen Bürgerlichkeit seiner Geburtsstadt Kopenhagen, dem scheinheiligen Philistertum ihrer Amts- und Staatschristen, dem Mittelmaß in Moderne, Demokratie und Journalismus. Der dänische Philosoph und protestantische Theologe, einer der radikalsten Denker der Subjektivität, starb am 11. November 1855 im Alter von nur 42 Jahren. An seinem 150. Todestag stellte der österreichische Philosoph Konrad Paul Liessmann Freitagabend in der Wiener Albertina sein aktualisiertes Werk über Kierkegaards Ästhetik der Verführung aus 1991 vor (Sonderzahl-Verlag). Und er apostrophierte, dass die Gedanken dieses vielleicht ersten Existenzphilosophen "heute aktueller sind denn je".

Kierkegaard, der sich aus der fatalen religiösen Umklammerung seines Elternhauses nie befreien konnte (für ihn war Gott ein strafender) zeigt sich in seinen meist unter Pseudonymen veröffentlichten Schriften als Verfechter der christlichen Idee gegen die christliche Realität. Er gesteht dem Menschen, seine eigene Existenz reflektierend, drei zu durchlaufende Stadien des Seins zu: das ästhetische, ein Leben in der Unmittelbarkeit der sinnlichen Empfindung, die Motiv und Ziel des Handelns ist; das ethische, in dem sich der Mensch als sowohl immanentes als auch transzendentes Wesen erkennt; das religiöse, in dem der Mensch seine Existenz durch und vor Gott erkennt - hier ist das Zeitlose in der Zeit, das Transzendente in der Immanenz: ein rational nicht zu fassendes Paradoxon, das in Furcht und Verzweiflung mündet, außer der "Sprung" in den Glauben gelinge immer wieder.

"Heute versucht man Menschen mit Utopien der Wirklichkeit wie etwa angstfreie Sexualität oder angstfreie Freiheit zu verführen, die es gar nicht gibt", erklärte Liessmann. Je mehr Möglichkeiten des Handelns der Mensch bekomme, vor desto mehr Möglichkeiten des Scheiterns stehe er: Kierkegaards Furcht und Verzweiflung seien der Existenz immanent - "moralisch betrachtet also auch die Option, Böses zu tun". In vielen modernen Sozialutopien fehle dies. (fei/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12./13. 11. 2005)