Zsusza Rakovszky, Im Schatten der Schlange, Deutsch: Erno Zeltner, € 12,40/576 Seiten. btb, München 2005

Foto: btb

Im Jahre 1666 erzählt eine alte Frau ihre Geschichte: Ursula Lehmanns Kindheit und Jugend in einem ungarischen Dorf beginnen mit frühen Erinnerungen an einen Brand. Damit schlägt die Autorin auch schon den Grundton ihres Romans an: das Dunkle, Verstörende, die Erfahrung der existenziellen Gefährdung und der Ohnmacht.

Zsuzsa Rakovszky beschäftigt sich nur am Rande mit den historischen Ereignissen der Zeit, und in der Tat waren diese für die einfache Bevölkerung nur von marginalem Interesse. Die Pest kam sowieso, und die Soldaten der jeweils wechselnden Machthaber plünderten und vergewaltigten – die einen wie die anderen. Die Glaubenskonflikte taten ein Übriges: Wenn die Katholiken die Oberhand hatten, wurden die Lutheraner gedemütigt und bedroht, dann wieder war es umgekehrt. Diese Konstanten, die das ohnehin prekäre Überleben nicht einfacher machten, wurden in einem Frauenleben noch durch weitere Komponenten verschärft. Abgesehen davon, dass Frauen leicht in den Geruch der Hexerei und damit auf den Scheiterhaufen kommen konnten, drohte ihnen auch der Tod, wenn sie zur falschen Zeit vom falschen Mann schwanger wurden. Die unbedingte Durchsetzung von Zucht und Ordnung bewirkte die Entwicklung von Überlebensstrategien: Entweder glückte es, ein Neugeborenes unbemerkt verschwinden zu lassen, oder man musste schnell einen Mann zum Heiraten finden und ihm das Kind unterschieben. Das Leben Ursulas, die als Mädchen nach Ödenburg (Sopron) zieht, entwickelt sich zu einem Albtraum zwischen realem und sozialem Tod. Rakovszkys unglückliche Heldin gerät in eine fatale Abhängigkeit zu ihrem Vater. Der hilft ihr, einen Fehltritt zu vertuschen und kann sich zum "Lohn" ungestraft an ihr vergreifen.

Rakovszky geht es um Introspektion vor einem historischen Hintergrund, nicht um einen historischen Roman an sich. Das Gefühl, kein eigenes Leben zu haben, seines eigenen Wollens und Fühlens vollkommen beraubt zu sein, ist das Hauptthema. Die Autorin, die sich auf keine ausgefallenen Erzählkonstruktionen einlässt, entwickelt dennoch suggestive Naturschilderungen und einen elegischen Ton, der, ohne manieristisch zu wirken, Authentizität und Spannung verleiht. (ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2005)