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Grand Ensemble in der Pariser Vorstadt - nicht die Architektur, sondern die Sozialpolitik hat versagt.

Foto: AP /Jacques Brinon
Die "Plattenbauten" an der Pariser Peripherie werden dieser Tage von den Medien gerne als "Brutstätten" der Unruhen gegeißelt. Zu Unrecht. Nicht die Architektur selbst ist mies, sondern der Umgang mit ihr und damit mit ihren Bewohnern.

Die allgemein unter dem Begriff Banlieue zusammengefassten Vorstädte der französischen Metropole entstanden aus kleinen Gemeinden, die im Laufe der Zeit zu einem großen Vorstadtteppich zusammenwuchsen. Die Bebauung stammt aus den unterschiedlichsten Epochen. Die derzeit immer wieder gezeigten Bilder von den "grands ensembles" - also den großformatigen, hohen, meist sehr schlank konstruierten Wohnhaussiedlungen - entstanden in den Sechziger- und Siebzigerjahren, als die Einwanderungswellen sämtlichen zur Verfügung stehenden Wohnraum überschwemmten.

Diese Wohnviertel wurden keinesfalls als Plattenbauten ausgeführt, wie immer wieder berichtet wird, sondern stellten durchaus vernünftige Wohnungen für die erste Einwanderergeneration dar, die bis dahin buchstäblich in Wellblechhütten gehaust hatte. Der in Paris lebende und erfolgreich tätige österreichische Architekt Dietmar Feichtinger meint: "Dieses Bild der Gettoisierung ist falsch, es gibt hier keine flächendeckenden Plattenbausiedlungen wie etwa in der DDR. Wenn ich an den "grands ensembles" vorbeifahre, bin ich eigentlich immer eher erstaunt über ihre Qualität."

Bernhard Buchberger, der ebenfalls seit Jahren in Paris ein Architekturbüro unterhält und vor allem in der Banlieue baut, ergänzt: "Diese Quartiere wurden damals als echter Fortschritt wahrgenommen, weil die Leute endlich Wohnraum mit Badezimmern und der entsprechenden Infrastruktur hatten. Das Problem ist nur: Diese Infrastruktur existiert mittlerweile nicht mehr."

Manche dieser "grands ensembles", so Buchberger, wären heute noch verhältnismäßig gut gepflegt, andere hätte man so gut wie aufgegeben. Was nützt die beste Architektur, wenn die Geschäfte aus den Sockelzonen ausziehen, wenn es in nächster Nähe kaum Schulen gibt, wenn keine Supermärkte zur Verfügung stehen, wenn die jugendlichen Einwohner dieser Klein-Bezirke auf verwahrlosten Freiflächen maximal Fußball spielen und Drogen dealen können?

Feichtinger: "Der Wohnwert hängt immer von der Umgebung ab, und die ist teils extrem vernachlässigt. In der Erdgeschoßzone passiert überhaupt nichts mehr, die Jugendlichen verbringen ihre Abende in den versifften Gängen der Häuser, weil es keinen Ort mehr gibt, wo sie sich sonst aufhalten könnten, es ist ihnen stinkfad - und jetzt im Moment halt ein bisschen weniger."

Tatsächlich beginnen sich in manchen Zonen der Pariser Vorstadt die Szenen wieder zu durchmischen, meinen beide Architekten übereinstimmend. Aufgrund der extrem hohen Wohnungs- und Mietpreise in den innerstädtischen Lagen ziehen seit einigen Jahren vermehrt Jungfamilien, Künstler, Architekten, Kreative in die auch weniger gut beleumundete Banlieue.

Alte Lagerhallen und Fabriken werden zu Wohnungen und Lofts ausgebaut, die etwas finanzkräftigere Klientel zieht die Infrastruktur nach, Geschäfte sperren wieder auf. In der Pariser Vorstadt, so viel steht fest, hat nicht die Architektur versagt, sondern die französische Sozialpolitik, die Feichtinger nur als "katastrophal" bezeichnen kann. Buchberger: "Die Bebauungsart dieser ,Barre' wurde zwar jetzt zum Symbol für die sozialen Probleme. Doch die hängen nicht mit der Struktur der Architektur zusammen, denn es gibt ganz ähnliche, sehr gut funktionierende Siedlungen in sehr reichen Gegenden - doch die sind besser gepflegt." (ALBUM, DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.11.2005)