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Kardinal Schönborn: der Islam als Herausforderung für das Christentum.

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Kardinal Schönborn über den Islam als Herausforderung: Unter den heutigen Weltreligionen ist zweifellos der Islam die Religion, die am meisten Anlass zu Fragen, Diskussionen, Sorgen gibt. Es ist immer interessant zu fragen: Warum ist eine Religion im Vormarsch, warum ist sie aggressiv oder tolerant, offensiv oder im Rückzug, was läuft da? Eines ist für mich sicher: Der Islam ist als Religion, die nach dem Christen- und Judentum entstanden ist, eine Religion, die uns in Europa ganz neu konfrontiert mit der religiösen Frage. Die These von der Säkularisierung, vom Verdunsten der Religionen ist dadurch überholt.

Die religiöse Frage steht für uns ganz neu da. Viele Muslime betrachten Europa und das Christentum in Europa als dekadent, als schwach, als zukunftslos - und das ist schon eine spannende Herausforderung.

Ich sage ganz ehrlich, mit allem großen Respekt vor dem Islam, vor allem vor den Menschen, die gläubige Muslime sind, aber in der Auseinandersetzung, im Dialog der Religionen, geht es auch darum zu fragen, wie antworten die einzelnen Religionen auf die großen Herausforderungen des menschlichen Lebens. Ich glaube also, das Christentum antwortet auf die Grundfragen des menschlichen Lebens in vieler Hinsicht in einer Weise, die mir besser gefällt und von der ich auch glaube, dass sie auch für unsere Gesellschaft besser ist.

Das heißt aber nicht, dass wir nicht vieles vom Islam lernen können.

Über den Missionsanspruch des Christentums und des Islam: Der Islam ist wie das Christentum eine missionarische Religion. Ich habe in Teheran, als ich an einer islamischen Universität vor vier Jahren einen öffentlichen Vortrag hielt, genau diesen Punkt in den Mittelpunkt gestellt.

Ich habe gesagt, wir sind zwei Religionen, die den Wahrheitsanspruch stellen, die die göttliche Offenbarung als Grundlage beanspruchen und eine universale Mission als Auftrag haben. Der Islam hat den ganz klaren Auftrag: Alle Menschen sollen Muslime werden. Und Jesus hat gesagt: Macht alle Menschen zu meinen Jüngern. Jetzt ist die Frage, die manche besorgt stellen: Kann man überhaupt in einer freien Gesellschaft mit solchen Religionen leben? Sind die nicht von innen heraus intolerant? Haben die nicht ein kriegerisches Element in sich? Und da stellt sich die Frage: Wie sieht die Verbreitung dieser Religion aus nach den inneren Ansprüchen, die der Gründer auf den Weg mitgegeben hat?

Ich wage das nicht für den Islam zu beantworten, das müssen Islamexperten oder gläubige Muslime tun. Vom Christentum kann ich mit Sicherheit sagen, dass Jesus nicht eine gewaltsame Verbreitung der Religion gewollt hat. Im Gegenteil, er hat sich lieber töten lassen, als Gewalt anzuwenden. Er hat auch gesagt: Selig sind die Gewaltlosen. Das ist eine Frage, die uns in den nächsten Jahren in Europa beschäftigen wird.

Über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei: Die schwierige Frage des Verhältnisses Europas zur Türkei ist natürlich durch die Islamfrage in Europa geprägt. Die Mitglieder der EU haben jahrelang den Türken gesagt, dass sie den Beitritt verhandeln werden. Man kann jetzt nicht so tun, als hätte es das alles nicht gegeben.

Auf der anderen Seite gibt es die Grundwerte der EU, und da war ich sehr enttäuscht, dass die Regierungschefs der Union die Religionsfreiheit in der Türkei nicht ausdrücklich auf die Verhandlungsliste gesetzt haben. Unser Bundeskanzler war der Einzige, der das ausdrücklich zur Sprache gebracht hat - er ist allein geblieben. Was ich für beschämend halte, denn die Religionsfreiheit ist immer auch eine Garantie für die anderen Menschenrechte. (Bearbeitung: Hans Rauscher)(DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2005)