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Verdis "Maskenball" in Leipzig: Die tadellose musikalische Qualität wurde leider durch eine antiquierte Betulichkeit des Szenischen ergänzt

Foto: AP /Eckehard Schulz
Der Jubel wird allerdings von drohenden Budgetkürzungen überschattet.


Leipzig - Die in Deutschland kontinuierlich voranschreitende kultur- und vor allem theaterpolitische Autodestruktion wirkt auch auf den unbeteiligten Beobachter aus dem Ausland bedrückend. Denn Geiz ist leider ungeil. Da schwärmt Riccardo Chailly, der neue Generalmusikdirektor der Leipziger Oper, am Tag vor seiner ersten Premiere vom immensen künstlerischen Potenzial dieses Hauses, das es nur zu aktivieren und (re-)animieren gilt.

Dazu befände er sich nun auf der Suche nach einem Stellvertreter und auch nach einem Ersten Kapellmeister. Auch das hohe Niveau der technischen Ausstattung und der hohe Grad an Disziplin, mit dem diese zum Einsatz gebracht werden kann, erfüllen ihn mit geradezu flammendem Optimismus.

Chaillys Begeisterung für Leipzig hat beinahe schon etwas von enthusiastischem Patriotismus. Zerbricht er sich doch jetzt schon den Kopf über das Wagner-Jahr 2013. Und das, obwohl sein Vertrag nur bis 2010 läuft. Doch die Weichen müssten, wie er richtig meint, schon jetzt gestellt werden. Außerdem stört es den frisch gebackenen Leipziger überhaupt, dass immer noch Dresden als die eigentliche Wagner-Stadt gilt.

Doch beinah in derselben Minute, in der Riccardo Chailly schließlich auch seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, dass die zuständigen Stadtpolitiker dieses ihm schier unerschöpflich scheinende musikdramatische Reservoir der Leipziger Oper kultur- und budgetpolitisch richtig einzuschätzen wissen, ging wohl die Samstagausgabe der Leipziger Volkszeitung in Druck, in der allerdings völlig anderes zu lesen stand:

Der für die in Zukunft nötigen Streichungen zuständige Politiker, Georg Girardet mit Namen, ließ nämlich verlauten, er sähe vor allem im Bereich der Oper ein beträchtliches Einsparungspotenzial. Armer Riccardo Chailly.

Zum Glück ist er jedoch nicht nur Generalmusikdirektor an der nun offenbar der Schröpfung preisgegebenen Oper in Leipzig, sondern auch das 19. Glied in einer aus ruhmreichen Namen wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Arthur Nikisch, Wilhelm Furtwängler oder Bruno Walter bestehenden Kette von Dirigenten, die in Leipzig das Amt eines "Gewandhauskapellmeisters" ausübten.

Und das Gewandhausorchester gilt nicht nur in Leipzig, sondern in ganz Deutschland als heilige Kuh. Immerhin war es "Gewandhauskapellmeister" Kurt Masur, der im Jahr 1989 nicht nur seinem Orchester, sondern allen Bürgern der DDR den Einsatz zum mutigen und unbeugsamen politischen Widerstand gegen das System gab. Seitdem hat dieses Orchester so etwas wie Kultstatus.

Präzises Instrument

Dieser käme ihm allerdings auch ohne diese politisch-historischen Meriten zu. Schon am Abend vor der Premiere erwies sich diese insgesamt 150 Damen und Herren starke Formation unter Dirigent Roberto Abbado vor allem in Maurice Ravels Alborado del gracioso als hochsensibles Präzisionsinstrument. Von so viel facettenreicher Sensibilität können die Wiener Philharmoniker, die dasselbe Stück kürzlich unter Daniel Barenboim auch in Wien aufgetischt haben, nur träumen.

Zum Glück lassen sich die Gewandhausmusikanten auch im Orchestergraben der Leipziger Oper hören. Und zwar - wie man an Riccardo Chaillys Leipziger Jungfernpremiere mit Giuseppe Verdis Un ballo in maschera hinreichend feststellen konnte - bestens. Chailly und dieses Orchester scheinen sich bestens zu ergänzen.

Letzteres hat etwas von der verlässlichen Genauigkeit der international gerühmten Uhrwerke, wie sie unweit von Leipzig in Glashütte schon lange erzeugt werden. Da tickt und klingt jedes einzelne Instrument dieser Tag- und Nachtwerker mit unbeirrbarer Akkuratesse.

Tränende Süße

Und Chailly ist so etwas wie die Unruhe, die dieses Uhrwerk auf opernitalienische Kunstzeit umstellt. Bei aller Wildheit der dynamischen Steigerung, bei aller beinah tränender Süße, die Chailly seinen Musikern entlockt, es wird nie oberflächlich flotte Italianità daraus.

Es schwingt immer auch etwas von der abgründigen Tiefe der deutschen Romantik mit. Vor allem bei den Soli der Holzbläser und des Cellos, aber auch bei den brausenden Streicherschauern der Losszene ist irgendwie der Geist Carl Maria von Webers präsent.

Ein reizvoller Mix, der auch den durchwegs exzellenten sängerischen Leistungen ein unverwechselbares Umfeld fern jeder italienischen Schreittheater-Schablone gab. Vor allem Massimiliano Pisapia als tenoral mühelos strahlender Riccardo und Chiara Taigi als Amelia mit in allen Lagen wohltuend weichem und ausgeglichenem Timbre waren Garanten für den jubelnden Erfolg, zu dem sich dieser Abend dann schließlich auswuchs.

Nicht zuletzt, weil Riccardo Chailly ein famoser Begleiter ist, der die dynamische Balance zwischen Orchester und Bühne bestens zu halten weiß. So konnte vor allem auch Eun Yee You als Page dominieren, ebenso wie Franco Vasallo als Renato und Anna-Maria Chiuri als Ulrica bestens reüssieren konnten. Das weit weniger ergreifende szenische Outfit, das dieser Premiere in der Ausstattung von Arnaldo Pomodoro von Ermanno Olmi als Regisseur verpasst wurde, erinnerte allerdings in seiner antiquierten Betulichkeit und in seiner unschön zwischen Abstraktion und pompöser Realistik pendelnden Optik an Wolfgang Wagners einstige altväterliche Kreationen in Bayreuth. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2005)