Berlin - In Deutschland wird ein Staatsziel Kultur nach dem Willen der großen Koalition vorerst nicht in den Koalitionsvertag aufgenommen. Die entsprechende Vereinbarung aus der Arbeitsgruppe Kultur bei den Koalitionsverhandlungen sei im Koalitionsvertrag nicht mehr enthalten, teilte die SPD-Bundestagsabgeordnete Monika Griefahn am Montag mit. Ein solches Staatsziel mit Artikel 20b des Grundgesetzes "Der Staat schützt und fördert die Kultur" müsse aber vom neuen Kulturstaatsminister als Ziel verfolgt werden. Die FDP kritisierte den Vorgang und sieht ihn als Beweis dafür an, dass die Kultur in der großen Koalition "extrem zu kurz" komme.

Man will Anreize für privates Kapitalspritzen in Kultur schaffen

Griefahn, bisher Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag, würdigte dagegen den Koalitionsvertrag auch auf dem Feld der Kultur als einen "vollen Erfolg" und meinte im Hinblick auf den Koalitionspartner CDU/CSU: "Wir ziehen zusammen an einem Strang!" So werde die überfällige Fusion der Kulturstiftungen jetzt angegangen. Bis Juli 2006 wolle die Koalition mit anderen EU-Ländern vergleichbare Anreize für privates Kapital für Filmproduktionen in Deutschland schaffen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Bernd Neumann, der neben Maria Böhmer (CDU) als neuer Kulturstaatsminister im Gespräch ist, sagte der dpa am Montag: "Auf der Grundlage des Koalitionsvertrages kann die Kulturszene sicher sein, dass sie mit der nächsten Bundesregierung einen stabilen und verlässlichen Partner haben wird." Zusammen mit den Sozialdemokraten sei mit dem Koalitionsvertrag eine solide Grundlage geschaffen worden, mit der der nächste Kulturstaatsminister oder die -ministerin "gut arbeiten kann".

Nachfolgediskussion

Im Laufe der anhaltenden Diskussion um die Nachfolge der deutschen Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) in Angela Merkels Team, in der am Wochenende zwei Kandidaten bekannt wurden, hat sich in Deutschland erneut eine Leitkulturdebatte sowie eine Diskussion um die Voraussetzungen für das Amt des Kulturministers entzündet. "Den Luxus eines Schöngeistes, einer Person aus dem Kulturbereich wie bisher, können wir uns nicht mehr leisten", sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann. Die Entscheidung gilt als richtungweisend für die Richtung, die die deutsche Koalition in Kulturfragen einschlägt.

Im Gespräch sind der Bremer CDU-Landesvorsitzende Bernd Neumann (63) und die rheinland-pfälzische CDU-Politikerin Maria Böhmer (55). Laut "Spiegel" will sich die CDU-Chefin und designierte Kanzlerin Merkel in dieser Woche zwischen den beiden Politikern entscheiden. Der studierte Lehrer Neumann gehört dem Kulturausschuss des Bundestages an, wo er als Medienfachmann gilt. Er war früher auch Parlamentarischer Staatssekretär im Forschungsministerium. Die Pädagogik-Professorin und stellvertretende CDU/CSU- Fraktionsvorsitzende Böhmer übernahm 2001 von Ex- Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth den Vorsitz der Frauen-Union und gehört dem CDU-Bundesvorstand an.

In Zeiten von "Multikulti" "roten Faden" nicht verlieren

Zugleich mit der Diskussion, ob wie bisher mit Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin oder Weiss der Kulturstaatsminister "Mehr Kultur in die Politik" bringen oder lieber ein "Polit-Profi mit gutem Standing in der Fraktion" (Zimmermann) sein soll, und den anhaltenden Unruhen in Frankreich hat Norbert Lammert neuerlich eine "Leitkulturdebatte" losgetreten. Lammert, der in Merkels Kompetenzteam für Kulturpolitik benannt worden war und schließlich Bundestagspräsident wurde, griff damit die von dem Parteifreund Friedrich Merz vor fünf Jahren ausgelöste Debatte wieder auf. Lammert mahnte etwa, das Land dürfe gerade in Zeiten von "Multikulti" seinen "roten Faden" nicht verlieren.

Er stieß damit in ein Wespennest in der immer stärker multikulturell geprägten Bundesrepublik. Lammert findet, es sei in den vergangenen Jahren vernachlässigt worden, über die "geistige Verfassung der Nation" öffentlich zu reden, und es habe eine "reflexartige Ablehnung" des Leitkultur-Begriffes gegeben. Dabei könne es sich kein politisches System leisten, wie der CDU-Kulturpolitiker in einem Gespräch mit der "Zeit" meinte, "seine innere Legitimation ohne solche gemeinsam getragenen Überzeugungen aufrecht zu erhalten".

Kritiker der Debatte: "Kampf der Kulturen"

Kritiker dieser neuerlichen Debatte sehen darin einen "Knüppel aus dem Sack" oder gar gleich einen neuerlichen "Kampf der Kulturen" aufbrechen. Damit würden negative Klischeevorstellungen von anderen Kulturen bedient, das sei eine "Steilvorlage" für Rechtsextremisten. Das alles sei ein "großer Schmarren" und gehöre zur "kulturellen Folklore der Konservativen". Für den Deutschen Kulturrat dagegen ist Lammerts Vorstoß eine "vielleicht notwendige Provokation, um eine überfällige Kulturdebatte in Deutschland anzustoßen", zur "Vergewisserung des eigenen Standortes" sei sie dringend erforderlich.

Merkel: Deutschen fehlt die Kenntnis der vierten und fünften Liedstrophe

Merkel meinte, die preußische Kultur sei ja im Grunde eine sehr offene Kultur gewesen. Inzwischen sei vieles verloren gegangen, bemängelte sie in der "Frankfurten Allgemeinen Zeitung" (FAZ): "Es fehlt den Deutschen die Kenntnis der vierten und fünften Liedstrophe, es fehlen Gedichte, Mythen, Melodien, aber auch sportliche Grundfähigkeiten nehmen ab."

Während diese Debatte schwelt, fordern die Künstler eine Aufwertung des Amtes des Kulturstaatsministers, "um die Wertigkeit der Kultur in Deutschland deutlicher als bisher sichtbar zu machen". Sie mahnen eine baldige personelle Entscheidung ein, um das Amt nicht zu beschädigen und der Kultur auf Regierungsebene wieder Gehör zu verschaffen und eine Stimme zu geben. (APA/dpa)