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Demonstranten im Susatal

Foto: REUTERS/Chris Helgren
Von Gerhard Mumelter aus Rom

Gestreikt hat Pierluigi Cordola noch nie. Dafür gibt es einen triftigen Grund: "Mein Arbeitgeber sitzt im Himmel", versichert Don Pierluigi. Doch am Mittwoch blieb das Pfarrhaus von Bussoleno geschlossen. Erstmals beteiligte sich der 65- jährige Pfarrer an einem Streik, der das gesamte Susatal in den Bergen westlich von Turin komplett lahm legte.

Bevölkerung rebelliert

Seit Wochen rebelliert dort die Bevölkerung gegen ein Großprojekt, das Don Cordola als "unmenschlich und sündhaft" nennt: den 53 Kilometer langen Eisenbahntunnel für die Hochgeschwindigkeitsstrecke Turin–Lyon. Die aufgebrachten Talbewohner verweisen darauf, dass sie "schon genug gestraft" seien. "Durch unser Tal laufen die Frejus- Autobahn, zwei Staatsstraßen und eine Eisenbahn. Das reicht endgültig!", erregt sich der Bürgermeister von Susa, Sandro Plano.

Die Stimmung im Tal ist aufgeheizt. Einige Techniker, die Messungen für den Tunnel vornehmen wollten, wurden von 500 Bewohnern regelrecht belagert und mussten von der Polizei befreit werden. Die von 18 Bürgermeistern angeführte Protestbewegung reicht von den Ortspfarrern und Lega-Politikern bis zu Kommunisten und Anarchisten, die im Susatal auf eine lange Tradition zurückblicken können. Am linken Rand der Protestbewegung sieht Innenminister Giuseppe Pisanu eine "gewaltbereite Szene", die vor allem die Wettkampfstätten der Olympischen Spiele im Susatal für wirksame Aktionen nutzen könnte.

"Unverzichtbar"

Für den Präsidenten des Unternehmerverbands Luca di Montezemolo ist die Hochgeschwindigkeitsstrecke "absolut unverzichtbar". Italiens größter Umweltschutzverband Legambiente dagegen wertet den 15 Milliarden Euro teuren Tunnel durch radioaktives, asbestreiches Gestein mit vielen Wasseradern als "Wahnsinnsprojekt" und schlägt einen Ausbau der bisherigen Bahnlinie vor.

Rund 80.000 Talbewohner marschierten am Mittwoch in einem Protestzug von Bussoleno nach Susa. Für Verkehrsminister Piero Lunardi "ein Marsch von Hinterwäldlern". Den Enthusiasmus von Pfarrer Pierluigi Cordola kann das nicht trüben. Er zeigt sich mit seinem ersten Streik hochzufrieden: "Das war heute für unser Tal ein großartiger Tag." (Gerhard Mumelter aus Rom, DER STANDARD Printausgabe 17.11.2005)