Ein Teich, irgendwo im winterlichen Niederösterreich ...

Foto: Georg Riha

"Die höhere Sicht der Dinge" heißt der neueste, luxuriöse Bildband des österreichischen Filmemachers und Fotografen Georg Riha, der dieser Tage im Verlag Christian Brandstätter erschienen ist.

Foto: DER STANDARD/Newald
Der Wiener Fotograf, Filmemacher und Erfinder Georg Riha – berühmt durch seine "Universum"-Dokumentationen – hat soeben einen opulenten Bildband, "Die höhere Sicht der Dinge", veröffentlicht. Versuch einer Annäherung an einen ungewöhnlichen Zeitgenossen.

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Ein Teich, irgendwo im winterlichen Niederösterreich: Risse in der beschneiten Eisdecke verraten – wohlgemerkt: aus der Luft betrachtet – einen Druck, eine Spannung, die man ironischerweise aus der Nähe nie wahrgenommen hätte. Wenige Seiten davor: wild zerklüftete Gletscherzungen. Erodierende Geröllmassen. Wieder: Schnee, diesmal nahezu unberührt auf runden Gebirgsnischen und Kuppen, in den Lechtaler Alpen. Dagegen Wolkenformationen – in nächster Nachbarschaft, höchster Distanz? In den unkommentierten Luftaufnahmen von Georg Riha ist nicht auszumachen, wie weit diese Landschaften vom Kameraobjektiv entfernt sind.

"Die höhere Sicht der Dinge" heißt der neueste, luxuriöse Bildband des österreichischen Filmemachers und Fotografen, der dieser Tage im Verlag Christian Brandstätter erschienen ist – und den Auftakt einer Trilogie markiert, in der später noch Riha-Bücher zu Architektur und Industrie folgen werden.

Die höhere Sicht

Wie die rissigen, schrundigen, schattenübersäten Landschaften, an denen ein Wo und Wann (die Bilder entstanden über einen Zeitraum von über 20 Jahren hinweg) kaum erkennbar ist, führt auch dieser Titel vorerst in die Irre: Während nun nämlich katholische Patrioten ins Schwärmen kommen könnten, wie herrlich doch der Herr unser Land quasi von oben herab geschaffen hat, so denkt man bei näherer Betrachtung doch eher an Karl Kraus und sein berühmtes Verdikt: "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner blickt es zurück."

Im Fall Georg Riha könnte dieses Wort, dieser Begriff "Natur" lauten. Oder: "Österreich". Seine weit gehend entvölkerten Impressionen gleichen oft eher abstrakten Texturen aus Licht und Farbe. Nicht selten scheint der schwebende Blick umzukippen in eine Ansicht, die man sonst nur per Mikroskop erhält. Und so könnte man diese Bilder einerseits wie demütige Huldigungen lesen, während sie andererseits doch wieder Dokumente eines Tollkühnen sind, der immer wieder die archaische Auseinandersetzung mit den Elementen sucht. Ohne Worte.

Rissige Welt

In jeder Hinsicht scheint sich der 1951 in Wien geborene Blick- und Flugfanatiker bevorzugt über Rissen aufzuhalten, die sich zwischen – aus nächster Nähe betrachtet: – Unvereinbarkeiten auftun. Wenn er etwa 1997 in einer berühmten "Universum"-Folge die Wiener Stephanskirche als "lebenden Dom" porträtierte, dann filmte er einerseits in steinerne Nischen und Poren und zu den dort hausenden Lebewesen, um das Wahrzeichen gewissermaßen naturwissenschaftlich zu obduzieren. Und er hängte die Kamera an einen Fesselballon, um Perspektiven zu gewinnen, die weniger einen göttlichen Plan als größere architektonische Zusammenhänge erschlossen.

Und immer weiter verästeln sich die Klüfte in Werk und Biografie dieses Künstlers und – vor allem – Handwerkers. Etwa zwischen der Schwerkraft der Verhältnisse in der kleinen österreichischen Filmindustrie, in der man trotz internationaler Reputation nicht selten zu viel zum Niedergang und zu wenig zum Überleben hat. Einer Branche, in der man große Bildideen oft auf Tourismus-Werbetrailer und ORF-Bilder reduzieren muss. Einem professionellen Umfeld, in dem Riha mit Vorbildern wie Stanley Kubrick oft kopfschüttelnder Irritation begegnet. Oder: verklärender Verehrung. Beides wird seinem bedachten Pragmatismus kaum gerecht.

"Die höhere Sicht der Dinge", die Georg Riha unverdrossen immer wieder anstrebt, sie geht eng einher mit den nüchternen Blicken auf ökonomische Bedingungen. Als Erfinder neuer Technologien für Kameraflüge ist er branchenintern geradezu legendär: Dem breiten Publikum und vielen potenziellen Geldgebern ist es aber vielleicht viel zu wenig bekannt, dass so mancher Flug in "Harry Potter" oder "Troja" eine Spezialanfertigung von Rihas Produktionsfirma "Brains & Pictures" ist.

Das von ihm entwickelte Kameratransportliftsystem, die so genannte "Camcat", kommt bei Champions-League-Übertragungen ebenso zum Einsatz wie bei Konzertverfilmungen aus dem Madison Square Garden oder wenn es darum geht, im Auftrag von Wladimir Putin den Roten Platz in Moskau neu zu inszenieren.

"Part of the deal"

Und wie geht wiederum Georg Riha mit den Superlativen um, für die man ihn da engagiert? "Kopfschüttelnd, manchmal schmunzelnd, das ist halt 'part of the deal' – wir sind käuflich ..."

Es passt zu dieser Zweischneidigkeit, dass Riha nun im Rahmen des Mozartjahrs 2006 eingeladen wurde, ein Salzburg-Porträt anzufertigen. "Ähnlich wie damals beim Stephansdom ist es aber gut möglich, dass der touristische Aspekt der Stadt eher zum Verschwinden kommt", meint der Filmemacher. "Mich interessiert das landschaftliche Umfeld. Das Oben und das Unten. Hier die Burg, da die Peripherien. Die Menschen zeige ich lieber in ihrer Proportion zu den Gesamtverhältnissen" – bei Georg Riha heißt das meist: wie Ameisen.

Wie schreibt Michael Köhlmeier in einem Essay über "Die höhere Sicht der Dinge": "Rihas Bilder sind – nein, nicht eine Vorschau aufs Leben, es kommen ja keine Menschen in ihnen vor, und wenn, dann sind sie Teil der Landschaft, Gewächsen gleich, die sich nicht schadlos aus der Landschaft brechen lassen – die Bilder sind Vorschau auf die Welt, wie sie war. Das ist ein Zeit-Paradoxon. Es impliziert, dass hier einer einem anderen, der die Welt nicht kennt, dieselbe zeigt, wie sie war, bevor sie betreten wird." (Claus Philipp/DER STANDARD, Printausgabe, 17.11.2005)