Seit mehr als zwanzig Jahren wurde darüber gestritten, ob und wie Chemikalien künftig EU-weit getestet und registriert werden sollten. Insgesamt zehn Tonnen Papier wurden voll geschrieben, ehe am Donnerstag die Entscheidung über die Neuregelung des EU-Chemikalienrechts im EU-Parlament anstand.

Nach einem Reigen von Abstimmungen über mehr als tausend Änderungsanträge stand fest, dass das EU-Parlament die Vorschläge zur Registrierung, Evaluierung und Administrierung von Chemikalien (Reach) zugunsten der Industrie deutlich abgeschwächt hat. So wurden vor allem die Anforderungen für Substanzen, die in geringen Mengen hergestellt werden, reduziert. Das Votum fiel mit 398 zu 148 Stimmen bei 36 Enthaltungen deutlich aus.

Reduzierung der Anforderungen

Das Hauptargument für die Reduzierung der Anforderungen für die Registrierung der rund 30.000 Substanzen war, insbesondere den Mittelstand vor zu hohen Kosten und zu viel Bürokratie zu schützen. "40 Prozent der Substanzen sind nicht erfasst", monierte die grüne EU-Abgeordnete Eva Lichtenberger, die sich "sehr unzufrieden" mit dem Ergebnis zeigte. Sie kritisierte auch, dass EU-Länder, die höhere Standards durchsetzen wollen, dies nicht dürfen.

Strengere Fassung gewünscht

Auch die SPÖ-Europaabgeordnete Karin Scheele, die im Umweltausschuss sitzt, hätte sich eine strengere Fassung vor allem bei den Registrierungsverpflichtungen von geringen Mengen von Chemikalien gewünscht. Aber das nun Erreichte sei "besser als der Status quo". Greenpeace-Expertin Nina Thüllen sah "richtige Schritte in die richtige Richtung", beklagte aber, dass man durch die Ausnahmeregeln weiterhin nicht von allen Chemikalien wisse, wie gefährlich sie seien und durch welche unbedenklicheren Stoffe sie ersetzt werden könnten.

Kritik nicht gerechtfertigt

Der ÖVP-Europaabgeordnete Richard Seeber hält solche Kritik für "nicht gerechtfertigt". Der Kompromiss bei der Registrierungspflicht habe "das bürokratische Monster besser handhabbar gemacht".

Gegen den Widerstand der Industrie setzten die EU- Parlamentarier Verschärfungen in zwei Bereichen durch: So müssen Zusatzstoffe bei Tabak getestet werden. Außerdem votierte das Parlament für eine automatisch alle fünf Jahre wiederkehrende Erneuerungspflicht der Zulassung für gefährliche Chemikalien.

An der Frist übte die Wirtschaftskammer Kritik und hofft – wie deutsche Industrievertreter – auf Nachbesserungen im Rat. Vertreter der künftigen deutschen Regierung kündigten bereits an, gegen die Frist einzutreten. Die Wettbewerbsminister werden vermutlich kurz vor Weihnachten abstimmen, sodass erst dann die endgültige Ausgestaltung der neuen Chemikalienverordnung feststeht. Wirtschaftsminister Martin Bartenstein bezeichnete die Parlamentsvorlage als "gute Basis". (DER STANDARD, Print-Ausgabe 18.11.2005)