Unaufhaltsam nähert sich CDU-Chefin Angela Merkel dem Berliner Kanzleramt. Freitagmittag konnte sie auf ihrer To-do-Liste wieder ein dickes Häkchen machen: Koalitionsvertrag unterzeichnet. Jetzt muss sie nur noch vom Bundestag gewählt werden, dann hat sie ihr großes Ziel erreicht: Sie selbst ist Kanzlerin, die Union stärkste Kraft im Bundestag.

Und dennoch will keine rechte Stimmung aufkommen. Die schwarz-rote Koalitionsvereinbarung wurde geschäftsmäßig abgesegnet, der Empfang danach dauerte auch nicht lange. Kein Vergleich mit dem Machtwechsel 1998, als Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Joschka Fischer so strahlten wie kleine Buben, die endlich den Schlüssel zum Spielzeugladen in der Hand halten. Denn über der Szenerie 2005 im Berliner Regierungsviertel hängt unausgesprochen immer dieser eine Vorwurf: Es ist halt kein richtiger Regierungswechsel. Zur ersehnten Koalition mit der FDP hat es eben doch nicht gereicht.

Stattdessen sitzt Merkel nun mit den Sozialdemokraten im Boot - mit dem politischen Gegner also. Jahrzehntelang haben Union und SPD einander auf Bundesebene bekämpft, standen einander als "feindliche" Lager gegenüber. Noch im Wahlkampf beschimpften sich Sozial- und Christdemokraten erbittert. Vor acht Wochen verhöhnte die SPD das Vorhaben der Union, die Mehrwertsteuer um zwei Punkte anzuheben, noch mit den Worten: "Merkel-Steuer, das wird teuer." Jetzt trägt sie sogar die Erhöhung von 16 auf 19 Prozent mit. Daran müssen sich Politiker wie Bürger erst einmal gewöhnen.

Abgesehen von der Haushaltssanierung muss die neue große Koalition also auch im zwischenmenschlichen Bereich ein Kunststück zustande bringen: miteinander so umzugehen, dass das geheime Verlangen vieler Koalitionäre nicht ständig sichtbar wird - der Wunsch nämlich, möglichst bald nicht mehr auf diese große Koalition angewiesen zu sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.11.2005)