Bild nicht mehr verfügbar.

Unbefangenheit ist FIFA-Präsident Blatter in diesem Fall schwer zuzusprechen.

Foto:AP/Schmidt
Istanbul/Wien - Eigentlich möchte er ja gar nicht darauf angesprochen werden, auskommen kann Muhammet Akagündüz dem Thema aber nur schwer. Rapids türkischstämmiger ÖFB-Teamstürmer hat natürlich das WM-Qualifikationsspiel der Türkei gegen die Schweiz am Mittwochabend im Patschenkino gesehen, "aber ich habe nach Schlusspfiff abgedreht, weil ich enttäuscht war, dass es die Türken knapp nicht zur WM-Endrunde geschafft hatten".

Zu den folgenden Prügelszenen und zur Diskussion über mögliche Konsequenzen für den türkischen Fußball, ja für die Bemühungen der Türkei, der EU beizutreten, "habe ich keine Meinung", sagt der 27-Jährige. Die reine Wahrheit ist das natürlich nicht, nur hat es Akagündüz als in Österreich "sehr gut Integrierter", der gleichwohl "stolz auf seine Herkunft" ist, irgendwie satt, als Kapazität in Fragen des türkischen Fußballs und der türkischen Gesellschaft angesehen zu werden, nur weil ihr seine Eltern entstammen, er Teile seiner Kindheit in der Türkei verbrachte und später in der türkischen Liga spielte. "Es muss ja jeder wissen, dass die aktuellen Vorfälle auf den Fußball beschränkt sind, dass da aus einer Mücke ein Elefant gemacht wird." Schließlich hätten die türkischen Fans im konkreten Fall nicht anders reagiert, als es Fans in anderen südlichen Ländern schon getan hätten. "Ich war nicht dabei, kann also auch nicht sagen, wer jetzt an den Vorfällen schuld war. Es gehören aber immer zwei dazu. Die Verantwortlichen müssen die Konsequenzen tragen, damit hat es sich aber schon."

"Hooligan-Präsident"

Ob es sich damit hat, wird sich weisen. Die türkischen Medien und Teamchef Fatih Terim attackierten jedenfalls massiv Joseph S. Blatter, nachdem der Präsident des Weltverbandes FIFA der Türkei mit drakonischer Bestrafung bis hin zum Ausschluss von der WM-Endrunde 2010 in Südafrika gedroht hatte. Für die Zeitung Vatan war Blatter schlicht ein "Hooligan-Präsident, ein fanatischer Fan", nur das Schweizer Teamtrikot habe gefehlt. "Hinrichtung ohne Gerichtsurteil", titelte Sabah und verwies auf den Umstand, dass der Weltverband seinen Sitz in der Schweiz habe und viele führende FIFA-Funktionäre Schweizer seien.

Nationalistischer Teamchef

Teamchef Terim forderte seine Landsleute am Freitag zum Zusammenhalt auf. "Es gibt Vorurteile gegen die Türkei, und unsere Rivalen spielen diese zu ihrem eigenen Vorteil aus, auch wenn überhaupt nichts passiert." In die nationalen Aufwallungen mischten sich auch selbstkritische Stimmen. "Unser Image in Europa ist wirklich nicht das beste", sagte Mittelfeldspieler Emre, der als einer der Haupttäter der Prügelei gilt.

Vatan schrieb bei aller Empörung über Blatter, dass der in anderen Zeitungen als "hässlicher Schweizer" verunglimpfte Spieler Benjamin Huggel nicht grundlos nach einem türkischen Betreuer getreten habe. Der Attackierte habe zuvor einem Kollegen Huggels ein Bein gestellt. Huggel selbst rechnet übrigens mit einer empfindlichen Sperre, "aber ich bin einfach froh, dass ich lebend dort unten herausgekommen bin". (DER STANDARD Printausgabe 19.11.2005)