Bush radelt und betet. Was karikaturhaft als Quintessenz der Chinapolitik des amerikanischen Präsidenten nach dessen jüngstem Peking-Besuch erscheint, gilt in ähnlichem Maß für die Europäer, die wirtschaftlich wie mittlerweile auch politisch um die Gunst der kommenden Weltmacht rivalisieren: Die Zukunft der "Partnerschaft" mit China ist völlig offen. Die USA wie die EU mühen sich mit mehr oder minder großem Geschick, irgendeine realistische Linie im Umgang mit den kommunistischen Kapitalisten zu finden.

George W. Bush bewegte sich bei seinem mittlerweile dritten Besuch in Peking seit Beginn seiner Präsidentschaft im Jahr 2001 - manche europäische Verbündete sahen ihn nie zu Gast - wie im Legoland. Alles ist bunt, alles wächst, und man schlägt besser nirgendwo einen Nagel ein oder schaut in die Schränke.

Denn politische Dauerstreitpunkte wie Taiwan oder wirtschaftliche wie der Wechselkurs des Yuan, der nach Überzeugung von Handelsexperten weiterhin stark unterbewertet ist und chinesische Exporte künstlich verbilligt, können die amerikanisch-chinesischen Beziehungen jederzeit und innerhalb weniger Tage auf den Nullpunkt bringen. Vage gehaltene, nur verbale Einigungen sind deshalb die Regel, mit der sich Peking und der Westen von einer diplomatischen Runde zur nächsten retten.

Ein Beispiel: Zu Chinas Handelsüberschuss mit den USA, der dieses Jahr 130 Milliarden Euro erreichen könnte - fast dreimal mehr als 2004 - meinte Staats- und Parteichef Hu Jintao nun, man wolle "nach und nach eine ausgeglichene Handelsbilanz" erreichen und zu diesem Zweck "Beratungen" mit der amerikanischen Regierung aufnehmen. Wen wird das in Washington beeindrucken?

Seit mit Hu Jintao die vierte Generation der kommunistischen Führung in China das Ruder übernahm, sind gleich mehrere Mythen des Westens zusammengebrochen. Die Idee einer "strategischen Partnerschaft" mit Peking, die der frühere US-Präsident Bill Clinton pflegte, hat nicht funktioniert: Chinas Volksbefreiungsarmee ist anders als zu Jiang Zemins Zeiten klar auf Expansionskurs. Hu scheint die Integration von ziviler und militärischer Industrie im wirtschaftlich sonst gefährdeten Nordosten des Landes vorantreiben zu wollen, während Chinas Wegbereiter in den Kapitalismus, Deng Xiaoping, genau das Gegenteil wollte; die Drei-Millionen-Armee - die paramilitärische Polizei miteingerechnet - sollte die marktwirtschaftlichen Öffnung nicht behindern.

Der jährliche Bericht des Pentagons über Chinas Rüstung und seine Militärstrategie hatte im Sommer dieses Jahres erstmals eine Bedrohung über Taiwan hinaus festgestellt. Chinas Nachbarn in Asien - Japan, Südkorea, die Philippinen - sowie die US-Truppen in der Region seien im Visier der chinesischen Generäle; Pekings Nuklearraketen könnten Russland, Indien und "praktisch das gesamte Gebiet der Vereinigten Staaten" treffen.

Zwei weitere Hoffnungen des Westens haben sich seit dem Antritt Hu Jintaos Ende 2002 zerschlagen: die Idee von der endlos großen Bonanza, die Chinas Binnenmarkt für westliche Produzenten und Investoren darstelle, und die Theorie, derzufolge wirtschaftliche Liberalisierung zwangsläufig auch mit zunehmender politischer Öffnung einhergehe.

Selbst unter hart gesottenen Neoliberalen hat sich herumgesprochen, dass Chinas Absatzmarkt auf absehbare Zeit beschränkt ist - sieht man ab vom recht begrenzten Anbieterkreis für Nuklearreaktoren oder Hochgeschwindigkeitszügen -, die Nachteile für die Produktion in den USA und in Westeuropa jedoch nur zunehmen.

China bestreitet schon ein Drittel der Textilimporte in die USA, die Mehrheit der chinesischen Exporte dorthin sind bereits HiTech-Produkte. Der Energiebedarf und soziale Spannungen kommen hinzu: China ist der größte anzunehmende Krisenfall des Westens. Radeln und beten reicht wahrscheinlich nicht, der Westen braucht einen Plan. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.11.2005)