Anlässlich des Internationalen Tages gegen Gewalt an Frauen hat die Standard.at den Therapeuten Heinrich Kraus von der Männerberatungsstelle in Wien getroffen, um Einblick in die therapeutische Arbeit mit Gewalttätern zu bekommen. Im Interview gibt er Auskunft über aktuelle Männlichkeitsbilder, Rückfallquoten und "Hausaufgaben" für Gewalttäter:

dieStandard.at: Herr Kraus, wie beurteilen Sie die Entwicklung der Männlichkeitsbilder in den letzten Jahrzehnten?

Heinrich Kraus: Was ich in der männlichen Sozialisation nach wie vor sehr kritisch sehe ist, ist dieser 'Wettkampfstil': Muster wie 'Wer ist der Beste?', 'Wer traut sich am meisten?' usw. sind immer noch dominant und das ist nicht gut, weil sie die emotionale Empfindsamkeit beeinträchtigen. Obwohl einerseits die klassische Rollenaufteilung ein Stück aufgegeben wurde, beispielsweise in der Hausarbeit, sind Männer im emotionalen Bereich vielfach noch sehr eingeschränkt. Wir sehen sehr oft, dass dann Gefühle der Schwäche, der Gekränktheit in sekundäre Gefühle wie Ärger und Wut umgemünzt werden. Das eigene Selbstbild lautet: Ich bin stark, deshalb darf ich auch Verletztheit nicht spüren. Bevor ich sie spüre, zeige ich eher meine Stärke, indem ich wütend bin.

dieStandard.at: Von welchem Männerbild gehen Sie denn in ihrer Männerberatung aus?

Heinrich Kraus: Wir stehen für ein partnerschaftliches Männerbild. Gleichzeitig wollen wir mit unserer Arbeit in der Männerberatung das existierende Machtungleichgewicht zwischen Männern und Frauen verändern.

dieStandard.at: Welche Erklärungsansätze gibt es für Gewalt gegen Frauen und Kinder?

Heinrich Kraus: Grundsätzlich sind sich Wissenschaft und Beratung einig, dass es dafür keine einheilige Erklärung gibt. Vielmehr spielen bei gewalttätigem Verhalten sehr viele Faktoren zusammen. Zum einen gibt es die gesellschaftliche Ebene, in der Frauen benachteiligt sind, was wiederum zu bestimmten Einstellungen bei Männern führt. Dann gibt es die Beziehungsebene, wo Männer und Frauen mit bestimmten Persönlichkeiten aufeinander treffen. Schließlich gibt es noch die persönliche Ebene, wo eigene Gewalterfahrungen der Männer eine Rolle spielen können, bis hin zur situativen Ebene.

Gewaltausübung funktioniert nicht nach einer kausalen Logik. Anschaulich lässt sich das mit dem astrologischen Bild von den Planeten erklären: Wenn gewisse Planeten in einer bestimmten Konstellation zueinander stehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass etwas passiert.

Unsere Klientel ist natürlich auch heterogen. In etwa 20 Prozent der Männer bei uns sind psychisch auffällig, einige andere zeigen Tendenzen zu Psychopathie. Damit sind jene gemeint, die auch außerhalb der Familie gewalttätig sind und meist ein langes Vorstrafenregister aufzuweisen haben.

dieStandard.at: Ist Gewalt gegen Frauen eine Frage des sozialen Milieus?

Heinrich Kraus: So würde ich das nicht sagen. Wichtig ist aber zu sehen, dass soziale Probleme, wie Arbeitslosigkeit, geringer sozialer Status, Schulden usw. Stressmomente darstellen, die situativ zu Eskalation beitragen können. Fast 40 Prozent unserer Klienten sind beispielsweise arbeitslos. Daraus zu schließen, dass Gewalt ausschließlich ein Problem der Unterschicht ist, wäre aber falsch. Nationale Umfragen in der Gesamtbevölkerung haben ergeben, dass dem nicht so ist.

dieStandard.at: Wie 'erfolgreich' ist Ihr Training? Welche Kriterien gibt es dafür?

Heinrich Kraus: Damit Gewalttätigkeit heilbar wird, muss als erstes die Motivation des Täters stimmen. Männer, die zu uns kommen, haben aber eigentlich durchwegs den Eindruck, dass sie selbst keine Gewalttäter sind. Es gibt diverse Abwehrstrategien, die die Tat entschuldigen sollen, sehr oft wird der Frau die Schuld gegeben. Am Anfang ist deshalb die Ausfallquote sehr hoch. Im Training werden dann formale Kriterien herangezogen: Wie arbeitet er mit? Kommt er regelmäßig? Macht er seine 'Hausaufgaben'?

dieStandard.at: Können Sie so eine 'Hausaufgabe' erläutern?

Heinrich Kraus: Männer sollen die Inhalte aus dem Training zu Hause 'üben', in die Praxis umsetzen. Zum Beispiel, indem sie Aktionspläne befolgen oder Protokolle über ihre Gefühlszustände ausfüllen.

Dann gibt es natürlich noch inhaltliche Kriterien: Ist der Mann in der Lage Verantwortung zu übernehmen? Inwieweit hat er sich in seinen Einstellungen geändert? Bei einem Abschlussgespräch, in der im Idealfall auch die Partnerin anwesend ist, entsteht dann ein halbwegs objektives Bild darüber, wo der Mann bzw. die Beziehung steht. Garantie für eine Heilung gibt es allerdings keine. Zumindest für Österreich lässt sich die Rückfallquote auch nicht wirklich seriös beziffern, weil darüber keine Aufzeichnungen gemacht werden. In den USA meinen renommierte Trainer, dass die Rückfallquote bei bis zu 50 Prozent liegt.

dieStandard.at: Was ist unter "Rückfallprävention" zu verstehen?

Heinrich Kraus: Zum einen gibt es wie gesagt das Abschlussgespräch, wo zukünftige Risiken abgesprochen werden. Manchen Klienten entlassen wir in eine Paartherapie, anderen empfehlen wir eine Psychotherapie. Viele Männer wollen auch freiwillig weiterhin in die Beratung kommen. Nach 3,6 und 12 Monaten nach Ende des Trainings, das im Durchschnitt neun Monate dauert und aus 30 Sitzungen zu 2 Stunden besteht, versuchen wir außerdem, Kontakt mit den ehemaligen Klienten aufzunehmen und mit ihnen ihre Situation abzuklären.

dieStandard.at: Was halten Sie von der These, dass Männer inzwischen die Opfer der Frauenemanzipation sind?

Heinrich Kraus: Das Thema Gewalt ist natürlich sehr emotionalisiert und deshalb prädestiniert für die Vermischung mit Ideologie. Gerade die Täter-Opfer-Spaltung ermöglicht viel Projektion, was Ideologisierung begünstigt. Es ist natürlich wichtig zu sehen, dass Männer Opfer sind. Gerade die Anti-Sozialen mit ihren vielen Vorstrafen haben oft schreckliche Gewalterfahrungen hinter sich. Und ich bin der Meinung, dass dies auch ernst genommen werden muss. Auf der anderen Seite ist es so, dass sich die meisten gewalttätigen Männer als Opfer ihrer Frauen erleben und eine Schuldumkehr vollziehen. Die Herausforderung liegt meines Erachtens darin, trotz der Anerkennung auf der einen Seite nicht den Blick dafür zu verlieren, was diese Männer tatsächlich getan haben.

dieStandard.at: Noch eine institutionelle Frage zum Abschluss: In Österreich gibt es seit einigen Jahren auch eine Männerabteilung im Gesundheitsministerium. Wie sieht die Zusammenarbeit aus?

Heinrich Kraus: Wir sind natürlich mit der Stelle in Kontakt, so wie wir mit allen Beratungseinrichtungen in Österreich im Gespräch sind. Allerdings gibt es hier Differenzen im Männerbild, weshalb der Kontakt nicht so eng ist, wie er eigentlich sein könnte.