Wien - Zehn Jahre nach der Unterzeichnung des Daytoner Friedensabkommens unter US-amerikanischer Vermittlung bleibt vor allem die damals akkordierte Teilung Bosnien-Herzegowinas in die beiden so genannten Entitäten, die bosniakisch-kroatische Föderation und die Serbische Republik (Republika Srpska), ein problematisches Erbe, das auf eine Lösung wartet. Währen Spitzenvertreter des Staates am Montag in Washington der Einigung von 1995 gedenken, fordern 102 bosnische Vereinigungen, die "willkürliche" Zweiteilung zu beseitigen.

Die Verbände aus ganz Bosnien, darunter Opfer-, Vermissten- und Vertriebenenorganisationen, Bürgerinitiativen, Frauenvereinigungen und Intellektuellengruppen, richten ihren Appell unter der Schirmherrschaft der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) an die Konferenz "Über Dayton hinaus" mit hochrangigen Teilnehmern aus Bosnien und den USA, aber auch der EU und der NATO. "Beide Teilstaaten müssen aufgelöst werden", fordern sie.

Ihre Kritik ist direkt und unverblümt: Das Friedensabkommen habe 1995 zwar den mehr als dreijährigen Krieg beendet, "Ergebnisse von Genozid, ethnischer Säuberung und Massenvertreibung" seien jedoch "de facto zementiert" worden; in der Republika Srpska regierten bis heute mehrheitlich "Parteien der Kriegsverbrecher", nur zwischen fünf und acht Prozent der von dort vertriebenen, "nichtserbischen Hälfte der Bevölkerung" seien zurückkehrt.

Statt der beiden Entitäten wünschen sich die Vereinigungen einen "lebensfähigen Staat" mit einem Selbstverwaltungssystem, bestehend aus Kantonen und Gemeinden. Dazu ist freilich eine Verfassungsänderung notwendig, die nicht in Sicht ist.

Erst vorige Woche scheiterten Gespräche zwischen den Chefs der der acht größten bosnischen Parteien unter EU- und US-Vermittlung, um durch eine Verfassungsreform die gesamtstaatlichen Institutionen zu festigen. Die große Macht der Institutionen auf Entitätsebene hat die Funktionsfähigkeit des Gesamtstaates vermindert. Mit einer Einigung über eine Polizeireform erreichten die drei Bevölkerungsgruppen - Serben, Kroaten und Bosniaken (bosnische Moslems) - zumindest, dass die EU-Außenminister dem Balkan-Land am Montag Grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen gaben. Die paradoxe Situation brachte zuletzt der bosnische Außenminister Mladen Ivanic auf den Punkt, indem er am Sonntag in Sarajevo sagte: "Wir sind für die Einrichtung effizienterer Institutionen, aber gegen den Abbau von Befugnissen der Entitäten.

Auch der bosnische Ex-Premier Haris Silajdzic (1990-93) und die beiden Grünen Politker, der Spanier Jose Maria Mendiluce und der deutsch-französische Europaabgeordnete Daniel Cohn-Bendit sehen Bosnien-Herzegowina "gefesselt". In einem Beitrag für die "Frankfurter Rundschau" (Montag-Ausgabe) kommen sie zum Schluss: "Die ethnische Aufteilung, die der Einteilung des Landes in verschiedene Einheiten durch dieses Abkommen zugrunde liegt, ist nämlich die beste Garantie für die Dominanz nationalistischer Parteien."

Das Dokument sei damals zwar "bestmöglich" zum Schutz vor Völkermord gewesen, wegen der Aufteilung der Vertretung nach Prozentanteilen, sei es jedoch permanent möglich, die Anwendung jener Klauseln zu blockieren, die Änderungen ermöglichten. "Wer würde in der serbischen Republik Bosnien eine Initiative ergreifen, um einen Text abzuändern, der ihm erlaubt, die Kontrolle über 49 Prozent des Staatsgebietes, seiner Bewohner und seiner Volksgruppen auszuüben?", stellen die Autoren die Frage in Richtung der bosnischen Serben, die den Status ihrer Republika Srpska erhalten sehen möchten, in den Raum.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP haben Experten des US-Außenministeriums bereits ein Projekt für eine neue Verfassung skizziert. Demzufolge sollen die beiden Entitäten erhalten bleiben, aber mit reduzierten Kompetenzen zu Gunsten einer Zentralregierung und eines Zentralparlaments. Der serbische Präsident Boris Tadic hat klargestellt, Belgrad widersetze sich jeglichem einseitigen Versuch, die Verfassung zu ändern.

Gerade dies schließen die 102 bosnischen Verbände jedoch offenbar nicht aus: Sollten die in der serbisch kontrollierten Hälfte Bosniens dominierenden Gefolgsleute des als Kriegsverbrecher gesuchten, einstigen Führers der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, den von ihnen vorgeschlagenen Weg in die Zukunft versperren, "muss die Daytonverfassung aufgehoben und die Verfassung der demokratischen Republik Bosnien-Herzegowina von 1991 wieder eingeführt werden", fordern sie. (APA)