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Ariel Sharon gründete eine neue Zentrumsbewegung.

Foto: APA/EPA/Jim Hollander
"Einen dramatischen Schritt, wie es ihn in der politischen Geschichte Israels noch nicht gegeben hat", meldete der Moderator des israelischen Fernsehens. Einige Tage lang hatte die Nation Nägel beißend auf die Entscheidung des Premiers gewartet, in der Nacht auf Montag sickerte endlich die Sensation durch: Der bald 78-Jährige hat sich tatsächlich dazu durchgerungen, seine Likud-Partei zu verlassen und eine neue Zentrumsbewegung zu gründen. Gleich in der Früh fuhr Sharon dann bei Staatspräsident Moshe Katzav vor, um ihm die vorzeitige Auflösung des Parlaments vorzuschlagen. "Unter den entstandenen Umständen denke ich, dass die Wahlen zum frühestmöglichen Termin abgehalten werden müssen", sagte Katzav danach vor der Presse. Zu Mittag legte Sharon dann offiziell den Vorsitz des Likud zurück.

Laut Grundgesetz läuft mit der Auflösung der Knesset eine 21-Tage-Frist an, während der theoretisch ein anderes Parlamentsmitglied eine alternative Regierung bilden kann. Prompt startete der Likud-Fraktionschef einen Versuch, bei der Rechten die notwendigen Unterschriften für einen Kandidaten zusammenzukratzen, der wohl kein anderer als Sharons Rivale Benjamin Netanyahu sein konnte. Aber die Initiative hatte keine Aussicht auf Erfolg, und es galt als sicher, dass Israel innerhalb einer weiteren Frist von 90 Tagen im März wählen wird.

Keine Zeit vergeudet

Sharon vergeudete keine Zeit und versammelte sofort jene Abgeordneten, die den Kern seiner neuen Partei bilden werden, unter ihnen immerhin fünf Minister. Unter anderem musste man sich nun einen Namen geben – zur Auswahl standen "National-Liberale Partei" und das klobigere "Partei der Nationalen Verantwortung". Sharon konnte damit rechnen, rund ein Drittel der 40 Likud-Mandate mitzunehmen, und durfte sich insbesondere Hoffnungen machen, mit Verteidigungsminister Shaul Mofas noch ein echtes Zugpferd in den neuen Stall zu locken.

Zulauf auch von Arbeiterpartei

Von der Arbeiterpartei werden sicher Minister Chaim Ramon und vielleicht auch Ministerin Dalia Itzik zu Sharon überlaufen. Shimon Peres (82), durch die Niederlage bei den "primaries" der Sozialdemokraten gedemütigt, schwieg sich bis zuletzt darüber aus, bei wem er lieber die Nummer zwei sein würde: beim frisch gewählten Parteichef Amir Peretz oder bei Sharon, den er seit mehr als 50 Jahren kennt. "Shimon, das ist der Beginn unserer gemeinsamen Arbeit", hatte Sharon den Noch-Koalitionspartner bei der letzten Kabinettssitzung am Sonntag umschmeichelt.

Der Rest-Likud begann indessen, nach dem Schock der Spaltung die Scherben zu kitten. Spätestens im Dezember soll ein neuer Vorsitzender gewählt werden, wobei Benjamin Netanjahu, im Sommer aus Protest gegen den bevorstehenden Gaza-Abzug vom Amt des Finanzministers zurückgetreten, der natürliche Favorit ist. Aber insgesamt könnten sich nicht weniger als sechs Bewerber um Sharons Erbe streiten, unter ihnen Kaliber wie Mofas und Außenminister Silvan Shalom, die bisher brave Gefolgsleute Sharons waren.

Bei der Arbeiterpartei hatte das Zentralkomitee schon am Sonntag fast einstimmig die Beendigung der großen Koalition bewilligt, und Peretz gab mit neuen Fahnen, einem neuen Jingle und einer feurigen 40-Minuten-Rede den Ton des anlaufenden Wahlkampfs vor. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.11.2005)