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George W. Bush mit Tony Blair bei dessen US-Besuch im April 2004.

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Al-Jazeera in Katar: Der Fernsehsender wird von den USA beschuldigt, ein Sprachrohr für Terroristen zu sein.

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London/Washington - US-Präsident George W. Bush hat, wie aus einem internen britischen Regierungsdokument hervorgeht, die Bombardierung des USA-kritischen arabischen TV-Nachrichtensenders Al-Jazeera erwogen. Die britische Zeitung Daily Mirror veröffentlichte am Dienstag die Mitschrift eines Gesprächs zwischen Bush und dem britischen Premierminister Tony Blair vom 16. April 2004, bei dem Bush von einem möglichen Angriff auf die Zentrale des Senders in Doha, der Hauptstadt von Katar, sprach.

Blair wandte sich laut dem Dokument gegen einen solchen Angriff und versuchte, Bush von dem Plan abzubringen. Ein Sprecher der britischen Regierung wollte den Bericht mit Verweis auf die Vertraulichkeit des Dokuments nicht kommentieren.

"Todernst"

Eine ungenannte Quelle in der britischen Regierung sagte dem Daily Mirror: "Bush war es mit der Sache todernst, und Blair auch. Das geht aus der Sprache der beiden Männer ganz klar hervor." Bush habe "klargemacht, dass er Al-Jazeera in Katar und anderswo bombardieren wollte". Ein anderer Regierungsbeamter sagte hingegen, Bushs Äußerungen seien "scherzhaft, nicht ernsthaft" gemeint gewesen.

Wie der Daily Mirror berichtet, gelangte das fünfseitige, als "top secret" gekennzeichnete Dokument im Mai 2004 in das Büro des Labour-Abgeordneten Tony Clarke. Ein 49-jähriger Beamter namens David Keogh werde inzwischen offiziell beschuldigt, das Dokument einem damaligen Mitarbeiter Clarkes gegeben zu haben. Keogh und der Mitarbeiter Leo O'Connor würden in der kommenden Woche vor einem Londoner Gericht zu der Sache angehört.

Al-Jazeera hatte seit dem Irak-Krieg 2003 immer wieder den Unmut der US-Regierung auf sich gezogen. Der Sender berichtete negativ über den US-Krieg im Irak und strahlte mehrfach Videobotschaften von Al-Kaida-Führern aus. Washington, aber auch die Regierung in Bagdad, unterstellt dem Sender unter anderem, ein Sprachrohr von Terroristen zu sein.

Im April 2003 wurde ein Journalist des Senders während eines US-Angriffs in Bagdad getötet. Nach amerikanischen Angaben handelte es sich bei der Bombardierung um ein Versehen. Im November 2002 wurde das Al-Jazeera-Büro in Kabul bei einem US-Raketenangriff zerstört. Der Angriff habe sich gegen terroristische Ziele gerichtet, hieß es aus Washington. Das Büro des Senders stand zu diesem Zeitpunkt leer.

Weißes Haus weist Bericht zurück: "Kurios"

Das Weiße Haus in Washington hat den Bericht zurückgewiesen. Kommunikationschefin Nicolle Wallace bezeichnete einen entsprechenden Bericht der britischen Tageszeitung "Daily Mirror" als "kurios".

"Es ist kurios sich vorzustellen, dass der US-Präsident, der sich überall in der Welt an führender Stelle für die Pressefreiheit einsetzt, jemals ernsthafte Gedanken über so etwas haben könnte", sagte Wallace. US-Präsidentensprecher Scott McClellan sagte, er wolle auf etwas "so Ausgefallenes und Unvorstellbares" nicht näher eingehen.(DER STANDARD, Printausgabe, 23.11.2003)