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Jacques Chirac begrüßt Angela Merkel vor dem Elysée-Palast. Die wechselseitigen Artigkeiten konnten Unterschiede in der Einschätzung der "Achse" nicht verbergen.

Foto: AP/CHRISTOPHE ENA
Ihr erster Auslandsbesuch sei kein Ritual, betonte Angela Merkel, als sie am Mittwoch im Élysée-Palast neben ihrem Gastgeber Jacques Chirac vor die Journalisten trat. Ein hochgradiges Symbol war das Arbeitstreffen mit nachfolgendem Essen aber allemal.

Merkel hatte den französischen Präsidenten schon mehrmals getroffen, aber jetzt wendete der 72-jährige Chirac noch einmal seinen ganzen Charme auf: Er begrüßte die frisch gebackene Bundeskanzlerin mit einem Handkuss und geleitete sie mit dem gewinnendsten Lächeln zu ihrem ersten offiziellen Arbeitstreffen. Es war so gewinnend, dass es fast ein wenig steif wirkte; und auf ebensolche Weise dankte Chirac der Regierungschefin aus Berlin, dass sie seinem Land den ersten Besuch reserviert habe. "Die Franzosen sind sehr empfänglich dafür", betonte er mehrmals. "Das heißt auf gut Deutsch, dass Chirac einen Wutanfall gekriegt hätte, wenn Merkel nicht zuerst nach Paris, sondern nach Warschau oder Brüssel gereist wäre", frotzelte ein deutscher Journalist.

Schwierige Anrede Einige Mühe bekundete der französische Präsident mit der Anrede: Einmal sprach er die Kanzlerin mit "Madame le chancelier", dann wieder mit "Madame la chancelière" an; selbst für die französische Sprache ist die Anrede nicht klar, zumal die an sich modernere weibliche Form "chancelière" auch so viel wie "Fußwärmer" heißt.

In Sachen Umgangsformen stand die Kanzlerin ihrem Gastgeber indes nicht nach: Auf die nicht ganz harmlose Frage einer französischen Journalistin, ob ihre Eigenschaft als Frau das deutsche Verhältnis zu Frankreich ändern werde, meinte sie mit lächelndem Seitenblick zu Chirac: "Eine Frau zu sein, ist hier zumindest kein Nachteil."

Bei den stereotypen Beteuerungen der bilateralen Freundschaft gab es zwischen Chirac und Merkel durchaus Nuancen: Während der Staatspräsident die deutsch-französische "Achse" als unerlässlich für das Fortkommen der EU pries, sprach die Bundeskanzlerin nur von einer gegenseitigen "Beziehung". Diese liege auch im Interesse der mittel- und osteuropäischen Länder, fügte sie an: Diese EU-Mitglieder seien ebenfalls auf ein solides deutsch-französisches Verhältnis angewiesen, um sich in der Union sicher zu fühlen.

Zu einem solchen diplomatischen Spagat zwischen seinen östlichen und westlichen Nachbarn sah Chirac keinen Anlass: Für ihn ist und bleibt das Verhältnis zu Berlin der Kernpunkt der ganzen französischen Außenpolitik, wie er festhielt. Und zwar so oft, dass es Angela Merkel auch wirklich nicht vergisst. (DER STANDARD, Print, 24.11.2005)