Wien - Von Gisèle Freund sind die Worte überliefert, dass Fotografie keine Kunst, sondern "ein Produkt der Zeit" sei. Mit der ersten Behauptung hat die 1908 in Berlin geborene und vor fünf Jahren in ihrer Wahlheimat Paris verstorbene große Porträtfotografin sehr tief gestapelt.
Gerade in ihrer dokumentarischen Uninszeniertheit waren Freunds präzise Fotoporträts von Dichtern und Denkern wie James Joyce oder Walter Benjamin kunstvolle Produkte ihrer Zeit. Und es war eine gute Zeit, denn obwohl die Tochter aus jüdischem Haus gleich zweimal vor den Nazis flüchten musste - 1933 nach Frankreich, 1940 nach Südamerika -, gelten die Dreißiger- und Vierzigerjahre heute nicht nur als ihre produktivste, sondern auch als ihre beste Schaffensphase.
Freund bezeichnete ihre Tätigkeit als Fotografin vielleicht auch deshalb nicht als Kunst, weil sie diese zu ernst und sich selbst nicht so wichtig nahm. Es ging ihr darum, ihr Objekt in seiner Lebens- und Arbeitsrealität realistisch darzustellen. Beim Fotografieren ließ sie sich Zeit, bis der zu Porträtierende ihre Anwesenheit fast vergessen hatte.
Dass Gisèle Freund mit ihrer Kamera oft zur rechten Zeit am rechten Ort war, beweist eine Ausstellung der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien, die heute Abend eröffnet wird. Anlässlich der Erich-Fried-Tage 2005 werden 28 Fotografien gezeigt, die Freund vom Schriftstellerkongress 1935 in Paris schoss.
250 Autoren in Paris
Die von André Malraux organisierte Veranstaltung war eine der größten Autorentagungen aller Zeiten, und wohl die am brillantesten besetzte. An fünf Tagen trafen sich im großen Saal der "Maison de la Mutualité" 250 Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus 38 Ländern, darunter André Gide, Edouard Dujardin, Bert Brecht, Robert Musil, Anna Seghers, Ilja Ehrenburg und Aldous Huxley, um Probleme der Zeit aus der Perspektive der Literatur zu verhandeln - und umgekehrt.
Angesichts von Hitlers Machtergreifung in Deutschland wurde die Rolle des Autors in der Gesellschaft diskutiert und für die Verteidigung der Kultur eingetreten. Dass es ob der vielfältigen ästhetischen und politischen Positionen innerhalb der Teilnehmerschaft am Ende keine konkreten Ergebnisse gab, war nicht verwunderlich, die weitgehende Einigung auf eine humanistische Haltung dennoch ein deutliches Statement.