Beleidigendes und frivoles Spektakel

Ein Steinbruch als virtueller Konzertsaal und die "Ode an die Freude" im Angesicht der Todesstiege: Wer immer sich das ausgedacht haben mag, dem ist das Sensorium für Takt, Anstand, Sensibilität und dem Anlass entsprechendes Gedenken abhanden gekommen. Wie kommt denn das Publikum in den Steinbruch? Etwa über die Todesstiege - vorsichtig, damit niemand niederfällt? Dort, wo Abertausende von Steinen erschlagen wurden, unter der Last zusammenbrachen oder erschossen wurden?

Und dann dieser zauberhafte Gedanke, im Steinbruch Beethovens prachtvoller Musik zu lauschen und dem Orchester und den Solisten zu applaudieren, unter - wie der zuständige Architekt Anton Falkeis auf der homepage der Gedenkstätte Mauthausen meint - einer "Klangebene aus abgependelten Lautsprechern". Mitten in diesem Musikerlebnis fällt der Blick der Ehrengäste auf jene Felswände, an deren Fuß zahllose Opfer erschossen wurden. Tatsächlich ein genialer Einfall: Wo früher wehrlose Menschen zu Tode gefoltert wurden, pendeln jetzt also Lautsprecher, aus denen die Hymne dringt: "Freude schöner Götterfunken, Tochter aus Elysium . . ." Und das ganze auch noch live vom ORF übertragen.

Nichts von dem, was die Veranstalter zu diesem Konzert bisher erklärt haben, hält einer Überprüfung stand - obwohl ich die jahrelangen Bemühungen von Leon Zelman sehr anerkenne. Sie beleidigen die Intelligenz und den Anstand jener, denen es tatsächlich um Gedenken und nicht um selbstgefällige Selbstinszenierung geht.

Die Befreiung im Frühjahr 1945 war ein - sehnlichst erwartetes - punktuelles Ereignis, das den sieben Jahren Sadismus ein Ende setzte. Diese sieben Jahre sollten beim Gedenken im Vordergrund stehen, nicht deren scheinbar glückliches Ende. Scheinbar deshalb, da jene, die überlebten, an den Jahren in Mauthausen noch lange gelitten haben.

Auch die Begründung, Mauthausen sei ein "europäisches Konzentrationslager", daher passe die Europahymne so gut zum Anlass, ist geradezu frivol. Viele Häftlinge kamen aus ganz Europa, das ist richtig. Darin unterscheidet sich Mauthausen aber nicht von den anderen KZs des Nationalsozialismus. Jedes Konzentrationslager ist Teil der europäischen Geschichte und daher auch in einem bestimmten Sinn europäische Gedenkstätte. Aber das berechtigt niemanden, aus Stätten des Grauens Orte für Konzertveranstalter zu machen, an denen allein andächtiges Schweigen angebracht ist.

Wir wollen gedenken, aber nicht als Komparsen eines Massenspektakels. Ich habe nichts gegen die Philharmoniker, ich habe nichts gegen Musik als Mittel zum Gedenken - im Gegenteil. Aber ich wehre mich - im Namen meiner Großmutter und deren Nachkommen - gegen Instinktlosigkeit, mangelndes Feingefühl, Taktlosigkeit und Zynismus.

Ich bin froh, dass mein Großvater Peter Winterstein als ehemaliger Häftling, der am unheilvollen 13. März 95 Jahre alt geworden wäre, dies nicht mehr miterleben muss. Dass er nicht die Stiege wieder hinuntergehen muss an den Ort des Grauens, der Qualen und der Folter, um ausgerechnet dort die "Ode an die Freude" zu hören.

Dr. Marie-Theres Arnborn ist Historikerin in Wien.
*Ausgelöst durch Marta Halperts Kommentar ,Ein Schlachthof ist kein Konzertsaal' (4. 3.); weitere Beiträge: von Caspar Einem (14. 3.), Rudolf Scholten (31. 3.), Otto Brusatti, Thomas Dombrowski (4. 5.)