Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/SHANNON STAPLETON
Keine Bank hat sich beim Bankrott des amerikanischen Derivatehändlers Refco eine blutigere Nase geholt als die österreichische Bawag: Die ausstehende Kreditsumme beläuft sich auf rund 350 Millionen Euro.

Aber auch von der Wall Street bis hin nach Washington herrscht Fassungslosigkeit. Seit dem Zusammenbruch des Energiehändlers Enron vor vier Jahren haben US-Unternehmen am laufenden Band Schlagzeilen produziert: Großbanken mussten Milliarden an geprellte Anleger zurückerstatten, viele Topmanager fassten drakonische Strafen für Bilanzmanipulationen aus.

Zorns der Bevölkerung

Angesichts des Zorns der Bevölkerung rangen sich die Politiker zu radikalen Schritten durch. Der Kongress verabschiedete unter anderem den Sarbanes-Oxley-Act, der schärfere Vorschriften für Unternehmenslenker und Wirtschaftsprüfer vorschreibt.

Refco steht für das Versagen dieser Kontrollmechanismen. Nicht nur den Buchprüfern von Grant Thornton entging die finanzielle Schieflage des Konzerns. Peinlich ist der Kollaps auch für Wall Streets erste Adressen: die Großbanken Credit Suisse First Boston, Goldman Sachs und Bank of America hatten Refco erst im August an die Börse gebracht. Das Unternehmen galt als heißer Tipp in einer heißen Branche, denn Derivate sind der am schnellsten wachsende Bereich des Finanzmarktes.

Schlechter Leumund

Innerhalb eines Monats verteuerte sich die Refco-Aktie von 22 auf 30 Dollar. Laut Zeitungsmeldungen gab es aber schon 1999 - also lange vor dem Börsengang - Dokumente, die auf faule Kredite hinwiesen. Fakt ist, dass Refco selbst in der ausgebufften Derivate-Szene als aggressiv galt. Die Makler waren bekannt dafür, gerne die Spielräume auszuloten. Kein anderes Haus wurde so häufig von der Aufsicht abgestraft.

Noch forschen die Ermittler, was genau geschehen ist. Die gängige Vermutung: Einige Refco-Kunden häuften nach der Asienkrise Millionenverluste an - und konnten sie nicht zurückzahlen. Um das eigene Geschäft nicht zu gefährden, habe der damalige Refco-Chef Phillip Bennett die Verluste auf sich übertragen und mit anderen, namentlich nicht genannten Beteiligten, an eine von ihm kontrollierte Investmentfirma transferiert.

Laut Wall Street Journal soll Bennett in den späten 90ern auch Verluste von Ross Capital verschleiert haben: Ein Investmentfonds, der Wolfgang Flöttl, dem Sohn von Ex-Bawag-Chef Walter Flöttl, gehört. Flöttl junior dementiert, dass seine Firma irgendwelche Schulden bei Refco habe oder gehabt hätte.

Klagen gegen Refco

Bennett selbst plädiert in seinem Strafverfahren auf nicht schuldig. Der 57-Jährige ist in New York wegen Wertpapierbetrugs und Falschangaben gegenüber der US-Börsenaufsicht SEC angeklagt. Ihm drohen 20 Jahre Haft und enorme Geldstrafen. Nicht nur die Bawag P.S.K. sieht sich als Opfer: Die US-Staatsanwaltschaft verlangt mindestens 700 Millionen Dollar zurück, zwei Dutzend führende Refco-Gläubiger haben sich zusammengeschlossen, um per Sammelklagen Ansprüche gegen Refco geltend zu machen.

Vorige Woche gab es dann einen prominenten Rücktritt: Der Chef des bankrotten Brokers, William Sexton, nahm seinen Hut, nachdem er sein Amt erst rund einen Monat zuvor, mit der Suspendierung von Bennett, angetreten hatte. Interimschef wurde Robert Dangremond, der davor bei AlixPartners gearbeitet hatte, einem Unternehmen, das Refco zuvor beraten hatte.

Beim insolventen Refco-Konzern mit ehedem 200.000 Kundenkonten und zuletzt 3000 Angestellten hat das Drama inzwischen ein vorläufiges Ende gefunden. Man Group, der weltgrößte Hedge Fonds, hat für 282 Mio. Dollar vor Kurzem den Zuschlag für die Terminkontrakt-Sparte von Refco erhalten.

Die Wettbewerbshüter müssen den Deal erst noch absegnen. Zum Zeitpunkt des Insolvenz-Antrags hatte Refco Schulden von mehr als 16 Mrd. Dollar angehäuft. Der Wert des Kundenstocks hat sich seit der Pleite auf 3,4 Mrd. Dollar halbiert. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.11.2005)