Zwei Tonnen Lebensmittel, dazu Kosmetika und Hygieneartikel lässt sich Martin Haiderer täglich schenken. Mit seinen Helfern kann er sich die Sachen von Eskimo-Iglo, der Nöm, den Wiener Gärtnern, L'Oréal, Henkel und anderen Firmen mit erstklassigem Namen einfach abholen. "Die sind sogar froh drüber", sagt er.

Denn Martin Haiderer ist Geschäftsführer der "Wiener Tafel", eines Vereins für sozialen Transfer. "Wir bekommen Dinge geschenkt, die wir noch am selben Tag an soziale Einrichtungen weiterschenken", sagt er. Die Nutznießer sind Mutter-Kind-Heime, Obdachloseneinrichtungen, die Flüchtlingsbetreuung, die Haftentlassenenhilfe. Verschenkt werden ausnahmslos Dinge, die völlig in Ordnung sind, also nicht etwa abgelaufene Ware. "Das ist eines unserer Prinzipien. Die Menschen, die die Sachen bekommen, stehen ohnehin ganz unten. Denen soll ich zweitklassige Dinge schenken? Das verbietet die Ethik."

Die Wiener Tafel agiert damit in einem Bereich, den es im System eigentlich gar nicht gibt: in jenem der Verschenkung von Überfluss. "Auf der einen Seite produzieren wir als eines der reichsten Länder der Welt jede Menge Überschuss, der schlicht vernichtet werden muss", erklärt Haiderer, "anderseits leben eben hier eine Million Menschen jenseits der offiziellen Armutsgrenze und können sich das Notwendigste nicht leisten." Um diese Kluft zu überbrücken, haben Sozialarbeiter 1999 die Wiener Tafel gegründet. Die Mitarbeiter versehen ihren Dienst ausnahmslos ehrenamtlich, sie sind Menschen, die ihre Zeit verschenken.

"Anfangs waren viele Firmen bei dem Gedanken entsetzt, dass ihre teuer beworbenen Markenprodukte plötzlich auf der Straße, in den Händen von Obdachlosen auftauchen", erzählt Haiderer. Andere befürchteten, dass die Schenkaktion als Eingeständnis missverstanden werden könnte, dass man fehlerhafte Ware erzeuge. "Da wurde uns etwa eine große Menge Müsliriegel versprochen - unter der Bedingung, dass wir vor der Weitergabe an Bedürftige jeweils die Verpackung entfernen, sodass niemand sieht, um welche Marke es sich handelt." Das großherzige Geschenk musste abgelehnt werden - aus logistischen Gründen.

"Dabei tun wir den Firmen auch einen Gefallen, wenn wir ihnen die Sachen abnehmen," sagt Haiderer, "sonst müssten sie nämlich für die Entsorgung aufkommen." Dabei geht es durchaus um gewichtige Mittel: "Die Entsorgung eines Bechers Jogurt kostet mehr als dessen Herstellung." In diesem Sinne ist die Wiener Tafel eine wundersame Einrichtung, die jenen Einsparungen beschert, die sie beschenken, damit Menschen bedacht werden können, die es wirklich nötig haben. Den Mitarbeitern der Wiener Tafel selbst wird auch reichlich geschenkt - Zuneigung nämlich. "Wir dürfen uns fühlen wie der Weihnachtsmann persönlich, alle Tage wieder", lacht Haidinger. "Machen wir uns nichts vor: Es ist einfach ein tolles Gefühl, die Dankbarkeit der Menschen zu spüren, denen wir helfen können."

Und wenn die "Tafel" sich was wünschen dürfte? "Mehr Spenden, eh klar. Zu verteilen gibt es ja genug", sagt Haiderer, "aber die Logistik spielt da noch nicht mit." Derzeit gelte deshalb ein "Aufnahmestopp" - keine Ausweitung der Aktivitäten, weil das Geld fehlt. Dabei sind die Strukturen denkbar schlank gehalten: "Wir haben ausgerechnet, dass ein Euro an Spendengeld ausreicht, um 100 Menschen satt zu machen. Letztendlich tun wir ja nichts anderes, als Dinge von A nach B zu bringen, die sonst vernichtet würden."

Auch ein Büro würde die Wiener Tafel sich derzeit ziemlich dringend schenken lassen, mit Arbeitsplatz, kleinem Lager und großem Besprechungsraum etwa. Aus den derzeitigen Räumlichkeiten am Westbahnhof muss sie nämlich bald ausziehen.

Und was schenkt Martin Haiderer selbst? "Zeit für meine Liebste - weil davon kriegt sie eindeutig nicht genug. Ich von ihr übrigens auch nicht." (Severin Corti/Der Standard/rondo/24/11/2005)